Heinrich Seidel

Der Mönch (Heinrich Seidel)

Der Mönch

Wir stiegen auf aus dunklen Kellerräumen,

Wo Duft und Gluth entschwundner Sommertage

Im mächtgen Fässern von Erlösung träumen.

"Jetzt saht ihr Alles", sprach auf meine Frage

Der greise Mönch, "doch dürft ihr nicht versäumen

Den Blick in's Thal - hoch ist des Klosters Lage."

Er öffnet eine Thür - ein Strom von Helle

Bricht draus hervor - "Herr, dies ist meine Zelle."

Wohin die Richtung meine Augen nahmen:

Ein Garten Gottes, herrlich - reich an Schätzen.

Lang' schaut' ich durch den Wein umrankten Rahmen

Und ward nicht müd' den trunknen Blick zu letzen,

Bis endlich mir entzückt die Worte kamen:

"Welch Paradies! - Ich muss Euch glücklich schätzen!"

Er seufzt und schauet trüb hinaus in's Klare -

"Ach Herr, es sind nun sechsunddreissig Jahre!"

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind