Heinrich Seidel

Der Milchbrunnen (Heinrich Seidel)

Der Milchbrunnen

Fern in jenen blauen Bergen

In der Einsamkeit des Waldes,

Rings umrahmt von urgewalt'gen

Weitverzweigten Riesentannen,

Liegt in ew'gem Frühlingsglanze

Eine wundersame Wiese.

Niemand weiss den Ort zu sagen,

Längst verloren ging die Kunde

Und die Pfade sind vergessen.

Wunderbar, ein seltner Bronnen

Rieselt aus dem Wiesengrunde:

Süsse Milch statt klaren Wassers

Rinnt aus der gefüllten Schale,

Und im Regenbogenglanze

Blühn im Umkreis mächt'ge Blumen,

Deren Kelche, deren Becher

Süsser Himmelshonig anfüllt.

Wer es weiss, der kann es sagen,

Wenn so Holdes sich ereignet,

Denn es lächelt in der Wiege

Dann das mutterlose Kindlein,

Und auf seinem rosgen Antlitz

Liegt es wie ein seliger Schimmer

Aus der goldnen Himmelsheimath.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind