Eduard Mörike

Waldplage (Eduard Mörike)

Im Walde deucht mir alles miteinander schoen,

Und nichts Missliebiges darin, so vielerlei

Er hegen mag; es krieche zwischen Gras und Moos

Am Boden, oder jage reissend durchs Gebuesch,

Es singe oder kreische von den Gipfeln hoch,

Und hacke mit dem Schnabel in der Fichte Stamm,

Dass lieblich sie ertoenet durch den ganzen Saal.

Ja machte je sich irgend etwas unbequem,

Verdriesst es nicht, zu suchen einen andern Sitz,

Der schoener bald, der allerschoenste, dich beduenkt.

Ein einzig Uebel aber hat der Wald fuer mich,

Ein grausames und unausweichliches beinah.

Sogleich beschreib ich dieses Scheusal, dass ihrs kennt;

Noch kennt ihrs kaum, und merkt es nicht, bis unversehns

Die Hand euch und, noch schrecklicher, die Wange schmerzt.

Gefluegelt kommt es, saeuselnd, fast unhoerbarlich;

Auf Fuessen, zweimal dreien, ist es hoch gestellt

(Deswegen ich in Versen es zu schmaehen auch

Den klassischen Senarium mit Fug erwaehlt);

Und wie es anfliegt, augenblicklich laesset es

Den langen Ruessel senkrecht in die zarte Haut;

Erschrocken schlagt ihr schnell darnach, jedoch umsonst,

Denn, grazioeser Wendung, schon entschwebet es.

Und alsobald, entzuendet von dem raschen Gift,

Schwillt euch die Hand zum umgestalten Kissen auf,

Und juckt und spannt und brennet zum Verzweifeln euch

Viel Stunden, ja zuweilen noch den dritten Tag.

So unter meiner Lieblingsfichte sass ich juengst -

Zur Lehne wie gedrechselt fuer den Ruecken, steigt

Zwiestaemmig, nah dem Boden, sie als Gabel auf -

Den Dichter lesend, den ich jahrelang vergass:

An Fanny singt er, Cidly und den Zuericher See,

Die fruehen Graeber und des Rheines goldnen Wein

(O sein Gestade bruetet jenes Greuels auch

Ein groesseres Geschlechte noch und schlimmres aus,

Ich kenn es wohl, doch hoeflicher dem Gaste wars.) -

Nun aber hatte geigend schon ein kleiner Trupp

Mich ausgewittert, den geruhig Sitzenden;

Mir um die Schlaefe tanzet er in Luesternheit.

Ein Stich! der erste! er empoert die Galle schon.

Zerstreuten Sinnes immer schiel ich uebers Blatt.

Ein zweiter macht, ein dritter, mich zum Rasenden.

Das holde Zwillings-Nymphenpaar des Fichtenbaums

Vernahm da Worte, die es nicht bei mir gesucht;

Zuletzt geboten sie mir fluesternd Maessigung:

Wo nicht, so sollt ich meiden ihren Ruhbezirk.

Beschaemt gehorcht ich, sinnend still auf Grausamtat.

Ich hielt geoeffnet auf der flachen Hand das Buch,

Das schwebende Geziefer, wie sich eines naht',

Mit raschem Klapp zu toeten. Ha! da kommt schon eins!

"Du fliehst! o bleibe, eile nicht, Gedankenfreund!"

(Dem hohen Mond rief jener Dichter zu dies Wort.)

Patsch! Hab ich dich, Canaille, oder hab ich nicht?

Und hastig - denn schon hatte meine Mordbegier

Zum stillen Wahnsinn sich verirrt, zum kleinlichen -

Begierig blaettr' ich: ja, da liegst du plattgedrueckt,

Bevor du stachst, nun aber stichst du nimmermehr,

Du zierlich Langgebeinetes, Jungfraeuliches!

- Also, nicht achtend eines schoenen Buchs Verderb,

Trieb ich erheitert lange noch die schnoede Jagd,

Ungluecklich oft, doch oefter gluecklichen Erfolgs.

So mag es kommen, dass ein kuenftger Leser wohl

Einmal in Klopstocks Oden, nicht ohn einiges

Verwundern, auch etwelcher Schnaken sich erfreut.