Heinrich Seidel

Die Wolken (Heinrich Seidel)

Die Wolken

Ich habe euch immer geliebt

Ihr Wolken des Himmels!

Gern wandre ich einsam

Auf weiter Heide,

Nachsinnend der Menschen Geschick

Und dem eignen Verhängniss,

Bei eurem Anblick.

Wechselnde Wolken.

Wie ihr euch wandelt.

Ihr Wolken des Himmels,

So wandeln sich ewig

Der Menschen Geschicke

Je nach des Glückes

Launiger Sonne.

Schimmernd und heiter

Schwebt ihr in blauen

Sonnigen Lüften

Wie holde Gedanken

Beseligter Liebe.

Grau und trübe

Verhüllt ihr der Sonne

Belebenden Lichtglanz.

Wie den umdüstern

Die trostlosen Träume,

Dem nichts geblieben

Als einsame Thränen.

Ihr Wolken des Himmels -

Heiter und rosig

Strahlt ihr am Morgen.

Und ach, so selten

Bringt uns der Mittag

Schöne Erfüllung.

Doch nach der Stürme

Grausigem Tosen

Und nach des Regens

Unsäglichen Fluthen

Taucht euch des Abends

Versinkende Sonne

Schwindend noch einmal

In rosigem Schein -

Hoffnungsvoll deutend,

Dass hinter des Todes

Dunklem Verhängniss

Wohl noch ein schönerer

Morgen uns blüht.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind