Heinrich Seidel

Die Träume (Heinrich Seidel)

Die Träume

Als Karl der Fünfte auf der Jagd

Verloren die Genossen,

Da er zu weit sich vorgewagt,

Traf er von Wald umschlossen

Ein Wirthshaus an des Weges Rand,

Darinnen er drei Räuber fand.

Als nun den Fremden, stolz geschmückt,

Ersahn die Räubersleute,

Da waren sie gar hoch beglückt

Ob dieser guten Beute.

Es lachte Ihnen schier das Herz,

Und "Träumen" spielten sie zum Scherz.

"Mir träumt," so fing der erste an

Und grinste vor Behagen,

"Es kleidet übel diesen Mann,

Den schönen Hut zu haben!

Das ist kein Hut für solchen Tropf,

Der passt auf einen bessren Kopf!"

"Mir träumt," so sprach der zweite gleich

Und liess ein Kichern spüren,

"Wir ziehn ihm aus, so warm und weich,

Das Wamms mit goldnen Schnüren!

In dieser schönen Sommerszeit

Geht's besser sich im Unterkleid."

Der dritte nahm ihn nun auf's Korn

Und rief: "Was gilt die Wette,

Ihn drückt das schwere Silberhorn

An seiner goldnen Kette!

Mir träumt, dass es am besten passt,

Wir nehmen ihm die schwere Last!"

"Nie hört' ich," sprach der Kaiser dann,

"Von so geschickten Träumen,

Doch eh' ich sie erfüllen kann,

Wollt nur ein wenig säumen,

Bis ich die Kunde euch verschafft

Von dieses Hornes Wunderkraft."

"Auch ich hab' einen schönen Traum:

Man soll in einer Reihe

An jenen starken Eichenbaum

Euch hängen alle dreie!"

Und was der Kaiser sprach, geschah:

Zu Ende war das Träumen da!

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind