Heinrich Seidel

Die Anilinfarben (Heinrich Seidel)

Die Anilinfarben

Es blühte einst, es glühte einst

So weit als breit

Ein Pflanzenheer, ein Blüthenmeer

Im bunten Kleid:

Um Urwaldriesen rankten sie,

Von hohen Wipfeln schwankten sie

Zur Vorweltszeit.

Verschwunden ist seit langer Frist

So Blüth' als Baum -

Sie lagen fest im Felsennest,

Im Todestraum.

Die Jahre übermannten sie,

Zu schwarzem Stein verbrannten sie

Im dunklen Raum.

Doch neu ersteht und nicht verweht,

Was einst verging.

In Tag und Jahr wird, was es war,

Ein jedes Ding.

In stetem Wechsel reiset es,

In ew'gen Bahnen kreiset es,

Im Weltenring.

Wie glühet nun, wie blühet nun

So weit als breit

Ein schimmernd Heer, ein Farbenmeer

Im bunten Kleid:

Um schlanke Leiber ranken sie,

Von stolzen Häuptern schwanken sie

In heut'ger Zeit.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind