Gottfried August Bürger

Die Königin von Golkonde (Gottfried August Bürger)

Nach Bouffler's Prose.

                   

   

Ich überlasse mich, o Feder, deinen Grillen.

Mein Genius hat sonst wol dich regiert;

Heut sei von dir mein Genius geführt.

Gebiete deinem Herrn! Er fügt sich deinem Willen.

Bekanntlich wandt' einst ebenso

Schach Riar sich an Dinarzaden,

An seinen Bock der Riese Moulineau,

Und Beid' empfahlen sich durch Märchen sehr zu Gnaden.

Auf, mache mich mit einem Dito froh!

Des Zwanges will ich dich bei deinem Spiel entladen.

Ich schätze zwar der edeln Feile Fleiß,

Doch wird ein Höckerchen nicht meiner Lust gleich schaden;

Nur sage mir hübsch, was ich noch nicht weiß.

Dem Leser, sollt' er ja nach deinem Machwerk sehen,

Dem Leser, wer er sei, Mann sei er oder Weib,

Gibt man im Vorbericht ganz trocken zu verstehen,

Auf sein Vergnügen sei dein Werk nicht abgesehen;

Es gelte hier nur meinen Zeitvertreib.

Die Leser sind umringt von Freunden, von Charmanten,

Die Leserinnen von Amanten.

Doch meine Wenigkeit entweilt kein Mädchenspiel;

So thu' es dann ein Gänsekiel.

Freund Harlekin ruft wol alsdann

Vor langer Weile Roms Monarchen,

Den Marc Aurel, um Hilf' und Beistand an,

Um – desto sanfter einzuschnarchen;

Allein bei mir mag, wenn sie kann,

Golkondens Königin das Helferamt verwalten,

Mich wach und munter zu erhalten.

Ich trat das Lebensalter an,

In welchem die Natur den Jüngling ausgestaltet,

Worin dem kaum vollendeten Orkan

Sich eine neue Welt entfaltet:

Das Alter, da des Erdenpilgers Bahn

Allmählich sich zu einer Höh' erhebet,

Auf welcher, frei von seiner Kindheit Staar,

Das Auge voll Begier hinaus ins Weite strebet,

Und was es nicht erreicht, die Phantasie erschwebet!

Mit einem Wort, ich zählte sechzehn Jahr.

Ich saß, entfernt von meines Mentors Blicken,

Auf eines raschen Kleppers Rücken

Und commandirt' als Feld- – nein! Waldherr – eine Schaar

Von zwanzig wohlgeübten Hunden,

Auf einen Keiler losgebunden.

Man denke sich, wie hochbeglückt ich war!

Nach einem Kampfe von drei Stunden

War uns das Wild, ich weiß nicht wie, verschwunden.

Die Jagd war aus; ich sprengte hin und her;

Umsonst! Da war kein Keiler mehr.

Ich überließ darauf das Weitre meinen Hunden,

Und, wie mein Klepper endlich laß,

Stieg ich herab; wir wälzten uns im Gras;

Das Klepperchen fing an zu grasen,

Und ich entschlief auf einem weichen Rasen.

Der Hunger weckte mich; ich aß,

Bedacht auf neue Jägerthaten,

Ein Stückchen Brod und kalten Rebhuhnbraten.

Das holde Plätzchen, wo ich saß,

War ein geheimes Thal, gebildet von zwei Höhen,

Bekränzt mit Birken und mit Schlehen.

Durch eine Lücke stellte sich

An eines Hügels sanftem Hange

Ein Dörfchen dar. Von diesem trennte mich,

Weit ausgedehnt ins Breite wie ins Lange,

Ein anmuthsvoller Landesstrich,

Bedeckt mit Gärten und mit Saaten,

Die freundlich meinen Blick sie zu bemerken baten.

Die Luft war rein, der Himmel blau;

Die Bächlein flossen still und heiter;

Es glänzten Blumen, Gras und Kräuter

Noch von Aurorens Perlenthau.

Die Sonne, kaum ein wenig weiter

Als durch ein Viertel ihrer Bahn,

Ließ auch auf schattenlosem Plan

Ihr Strahlenlicht, gemildert von Zephyren,

Die lebende Natur nur noch zur Wollust spüren. –

Wo sind denn nun die Freunde der Natur,

Die einen Frühlingstag, ein Paradies zu sehen

Und Sinn und Herz daran zu laben recht verstehen?

Denn ihretwegen mal' ich nur.

Mich selber reizte diese Scene

Weit weniger als eine Bauerschöne,

In weißem Wamms und Rock, ein allerliebstes Ding,

Das muntern Schrittes dort mit einem blanken Topfe

Voll frischer Mild auf seinem Kopfe

Vermuthlich seinen Weg zum nächsten Städtchen ging.

»Ach, falle nicht!« – war plötzlich mein Gedanke,

Als sie, bestimmt durch ihren Pfad,

Die allzu schmale Brückenplanke

Quer über einen Bach betrat –

»Und wenn du mußt, so falle lieber,

Wann du erst unversehrt herüber

Und hier auf meinem Rasen bist,

Der trockner und auch weicher ist.«

Der Schritt gelang. Bald sah ich mit Entzücken,

Daß sie den Weg nach meiner Gegend nahm.

Je näher sie herangeschritten kam,

Je näher schien sie mir an's Herz zu rücken.

Unkundig daß, was mir geschehn,

Sprang ich empor, entgegen ihr zu gehn;

Und immer reizender erschien sie meinen Blicken.

So zart, so wohlgebaut, so frisch, so rosenschön

Hat Zeus auf Erden Nichts, im Himmel Nichts gesehn.

Um ein Gespräch mit ihr nach Würden zu beginnen,

Wußt' ich sogleich auf Nichts mich zu besinnen.

So voll das Herz mir war, so leer fühlt' ich den Kopf.

Jen's glich dem Trunkenbold, und dieser war ein Tropf,

Und beide wissen nicht besonders viel zu sagen.

Ins Mittel trat da noch Freund Magen;

Doch adressirte der sich nur an ihren Topf

Und bat, ihm einen Trunk daraus nicht abzuschlagen.

Sie bot ihn mir mit einer Anmuth dar,

Der sie allein nur fähig war.

Dann fuhr ich fort, sie noch mit zwei, drei Fragen

Nach Namen, Alter, Dorf und solcherlei zu plagen;

Und jedes Wort, das ich darauf vernahm,

War werth, daß es aus ihrem Munde kam.

Sie war vom nächsten Dorf; ihr Name hieß Aline.

»Ach!« sprach ich, »liebe süße Line,

Ich möchte wol dein Bruder sein!« –

Nicht dies gerade wollt' ich sagen. –

»Und Ihre Schwester ich!« fiel sie mit Wohlbehagen

Voll allerliebster Unschuld drein. –

»Doch lieb' ich dich, bei meiner Ehre,

Nicht weniger, als ob ich's wirklich wäre«,

Erwidert' ich, indem ich sie umschlang.

Alinchen setzte sich zur Wehre,

Und als sie mir entgegenrang,

Fiel ach! ihr Topf – die Milch floß auf die Erde.

Welch Mißgeschick! – Sie weinte bitterlich;

Riß dann mit zürnender Geberde,

Voll Ungestüm aus meinen Armen sich,

Rafft' ihren Topf auf von der Erde

Und wollte fliehn. »Ach, wär' ich erst zu Haus!«

Rief sie voll Angst, glitt auf der Milchstraß' aus

Und fiel, so lang sie war, zu Boden auf den Rücken.

Ich flog, ihr beizustehn, doch wollte mir's nicht glücken;

Denn einer stärkern Macht als ich,

Gelang es bald, sogar auch mich

In ihren Fall mit zu verstricken. –

Man weiß, ich zählte sechzehn Jahr,

Und funfzehn Jahre war Aline.

Die Alter und dies Plätzchen war

Das rechte, wo am liebsten seine Mine

Der Gott der Liebe springen läßt –

Aline trübte zwar durch Thränen erst sein Fest,

Bald aber wich der Schmerz der Wonne

Und lieblich durch's Gewölk der Thränen brach die Sonne. –

Die Zeit, die still für uns in ihrem Laufe stand,

War dennoch, wie sich endlich fand,

Für andre Wesen fortgelaufen.

Die Sonne sank hinab bis an des Himmels Rand.

Die Abendglocke rief in Haufen

Die Menschen und das Vieh zu Hütt' und Stall zurück.

»Ach!« sagte mit erschrocknem Blick

Alinchen, »nun ist's Zeit, nach Hause mich zu tragen;

Die Mutter möchte mich sonst schelten oder schlagen.«

Ich selbst, noch voll Respect für meine Frau Mama,

Trat auch dem ihrigen deswegen nicht zu nah'.

»Hin« fuhr sie fort, »sind meine Milch und Ehre;

Doch Ihrethalb verschmerz' ich den Verlust.« –

»O geh mit deiner Milch! Als ob nicht deine Brust,

Erwidert' um so weiß wie diese wäre!

Im übrigen ist ja die Lust

Unendlich süßer als die Ehre.« –

Als ich ihr drauf mein bischen Baarschaft gab

Und einen goldnen Ring, zum Denkmal dieser Stunde,

Versprach sie mir mit Hand und Munde,

Ihn zu bewahren bis an's Grab.

Betrübt, so bald verlassen uns zu müssen,

Gebrach es uns an tiefen Seufzern nicht,

Und Angesicht von Angesicht

Schied, feucht von Thränen und von Küssen.

Ich schwang mich wieder auf mein Roß,

Verfolgte mit dem Blick noch lange meine Schöne;

Dann sagt' ich Lebewohl der anmuthsvollen Scene,

Wo ich zum ersten Mal der Liebe Glück genoß;

Und voll Verdruß in Herz und Miene,

Daß ich kein Bauer war im Dörfchen meiner Line,

Ritt ich und auf meines Vaters Schloß.

Ich hatte mir zwar selbst das Wort gegeben,

Auf keine andre Jagd in meinem ganzen Leben

Als auf die Freudenjagd in Linens Thal zu gehn,

Und allenthalben sonst in Feld- und Waldgehegen

Der reizenden Aline wegen

Das Wild mit Gnaden anzusehen;

Doch alle diese schönen Plane,

Schon ausgeführt in meines Herzens Wahne,

Verschwanden wie ein Morgentraum;

Denn abgestiegen war ich kaum,

So kam ein Postillon mit Briefen,

Die meinen Vater nach Paris,

Ach, schon am nächste Morgen riefen!

Denkt, wie mir wurde, da es hieß,

Ich müßte mit! – Mit jammervoller Miene

Schluchzt' ich: »Ade Mama!« und dacht': »Ade, Adeline!«

Auch Stahl zernagt die Zeit; wie also könnte dann

Der Liebe zarter Stoff vor ihrem Zahn bestehen?

Untröstbar reist' ich ab mit meinen Herzenswehen,

Doch wohlgetröstet kam ich an.

Je mehr ich von Alinchen mich entfernte,

Je mehr entfernte sich Alinchen auch von mir.

Die Lust an Allem, was ich hier

In meiner neuen Welt zuerst erfuhr und lernte,

Besiegte die Erinnerung der Lust,

Die ich verlor, und meiner jungen Brust

Entstahlen zwei hochwohlgeborne Diebe,

Die Löffelei und Ehrsucht, bald die Liebe.

Auf kriegerischer Bahn strebt' ich nach Ehr' und Glück.

Mein Arm erfocht mir durch sechs saure Züge

Zwar nicht an Lohn, doch Wunden volle Gnüge.

Dann kehrt' ich nach Paris zurück,

Um dort mit besserm Glück für Minnelohn den Schönen

Als Königin für ihren Dank zu fröhnen.

Einst, nach vollbrachter Oper, fand

Ich mich von ungefähr bei einer hübschen Dame,

Die ihres Wagens wartend stand.

Auf einmal machte die auf mich die Aufmerksame

Und fragte: »Kennen Sie mich nicht?« –

»Verzeihen Sie, Madam, nie sah ich Ihr Gesicht.« –

»Nie? – Ei! Betrachten Sie mich doch einmal genauer!« –

»Dies, schöne Dame, wird zwar wahrlich mir nicht sauer;

Doch was ich Schönes auch in meinem Leben sah,

So kam doch nie etwas dem, was ich sehe, nah.« –

»Nun, weil denn mein Gesicht nichts in Erinnrung bringet,

So will ich sehn, ob's nicht der Hand gelinget.« –

Hier zog sie ihren Handschuh ab

Und zeigte mir den Ring, den ich Alinen gab.

»Alin', Aline!« wollt' ich sagen,

Doch vor Erstaunen starb das Wort

Im Munde mir. Indessen kam ihr Wagen.

Wir stiegen ein und rollten fort.

Hier kam es nun zu Fragen über Fragen,

Und folgenden Bericht vernahm mein Ohr:

»Vermuthlich haben Sie des Milchtopfs nicht vergessen,

Viel weniger noch alles Dessen,

Was ich mit meinem Topf verlor.

Nicht Sie, mein Herr, nicht ich bedachten,

Was wir an jenem Tage machten;

Doch ward es mir bald offenbar,

Daß es ein – kleiner Junker war.

Auch meine Mutter ward es innen

Und jagte kurz und gut das Töchterchen von hinnen.

Kein Bitten half mir aus der Noth. Ich ging

Als ein verwaistes armes Mädchen

Und bettelte mich bis ins nächste Städtchen,

Wo eine alte Frau mich mütterlich empfing.

Der Menschenfreundlichkeit zum Ruhme

Erklärte die sich bald zu meiner Muhme.

Sie hegt' und pflegte mich, sie putzte mich heraus

Und nahm, wohin sie ging, das Nichtchen mit sich aus.

Die Kennerschaft fing an nach mir zu sehen,

Beehrte bald mit Zuspruch unser Haus,

Und Tantchen gab mir gütigst zu verstehen,

Ja hübsch mit Höflichkeit den Gästen vorzugehen.

Gehorsam richtet' ich der Tante Willen aus.

Der Pastor Loci kam zuerst in unser Haus

Und auch am öftersten; drum mußte wol vor Allen

Ihr kleiner Sohn auf seine Rechnung fallen.

Er machte nach der Zeit ein schmuckes Chorkind draus.

Doch Tante, die auf unser Glück zu sinnen

Auch selbst im Glück nicht unterließ,

Fand bald, wie sie mir klar bewies,

In einer großen Stadt sei mehr noch zu gewinnen,

Und führte mich von dannen nach Paris.

Hier ging ich durch verschiedne Hände,

Und meinen Reiz besaß am Ende

Ein alter, wackrer Präsident.

Nun weiß, wer diese Herren kennt,

Daß, wenn sich noch so hoch an Themis' Tempel stehen,

Sie doch an Amor's Hof vielleicht am letzten gehen.

Von meinem Ehrenmann blieb, wann er blank und baar,

Entstaatsperückt, enthalskraust, ausgewindelt

Aus seinem großen Amtstalar,

Kurz, wann er ganz von Dem, was nicht er selber war,

Vom Haupt bis auf den Fuß entschindelt,

Vor mir erschien, blieb, sag' ich, blank und baar

So wenig, daß es kaum der Rede würdig war.

Doch liebte mich dies Wenige nicht wenig

Und überhäufte, wie ein König,

De sich an keine Glossen kehrt,

Die Tante so wie mich mit Geld und Geldeswerth.

Die Tante starb, und ihr Vermögen

Vermehrte noch durch Erbschaft meinen Segen.

So hatt' ich denn durch Fleiß bei Tag und Nacht

Von Dem – und Dem – und Dem – und meinem Präsidenten

Und durch der Tante Tod fünftausend Thaler Renten

In trockne Sicherheit gebracht.

Langweilig wurde mir in mancherlei Betracht

Mein Handwerk nun; auch höhnte mich sein Name.

Ich hätte gern die Ehr- und Tugendsame,

Wenn auch nur zur Veränderung, gespielt,

Wiewol man dabei auch oft lange Weile fühlt.

Für zwei charmante, blanke, krause,

Geränderte, vollschwere Ludewig

Erklärt' ein Stammbaummacher mich

Zum Fräulein von sehr gutem Hause.

Nun lebt' ich hoch, gerieth von ungefähr

Mit Männern von Talent, besonders schönen Geistern,

Auch in ein geistiges Verkehr.

Dadurch gewann bei Stümpern und bei Meistern

Der Ruf von meinem Geist, Witz und Geschmack gar sehr;

Auch mocht' es in den That mich etwas mit vergeistern.

Ein hochgeborner Ehrenmann

Von vierzigtausend Thaler Renten,

In mich und mein Verdienst, trotz meinem Präsidenten,

Bis über's Ohr verliebt, bot Herz und Hand mir an.

So ist denn nun die weiland arme Line

Marquise Castelmont fürs werthe Publikum;

Doch blieb die Frau von Castelmont darum

Nicht minder noch für dich Aline.« –

»Und nun für wen,« sprach ich zu ihr,

»Für wen hat wol dein Herz am zärtlichsten geschlagen?« –

»Das kannst du, böser Mann, noch fragen?«

Versetzte sie mit sanftem Schlage mir.

»Ich war Natur und Einfalt, als ich dir

Mich schenkte, wenn ich gleich mir drob das Haar zerraufte.

Das blieb ich nicht, als ich an Andre mich verkaufte.

Nicht mehr so jugendfrisch und schön,

Mußt' ich mein bischen Reiz durch fremden Schmuck erhöhn

Und Tag für Tag die Gunst des Wohlgefallens üben.

Wie hätt' ich da noch können lieben?

Die Künstelei wird stets das Ziel

Der reizenden Natur verrücken.

Das Roth, womit wir unsre Wangen schmücken,

Zerstört das holde Farbenspiel,

Durch welches wir zum ersten Mal entzücken,

Und Lügen der Empfindsamkeit ersticken

Das herzliche Naturgefühl.

Nur ein Mal, und nur dir, hat dich mein Herz versprochen;

Und hab' ich gleich in kurzer Zeit

So leicht, als Eine kann, die Treue dir gebrochen,

So darf ich doch auf Herzbeständigkeit

So sehr als irgend Eine pochen.

Gewichen ist aus meiner Phantasie

Dein zaubervolles Bildniß nie.

Den Kelch der Lust, auch von den schönsten Rittern

Mir dargereicht, pflegt' es mir zu verbittern.

Doch muß ich allerdings gestehn,

Bisweilen mocht' es auch die Süßigkeit erhöhn.«

Und nun begann, vor innigem Entzücken,

So unverhofft beisammen uns zu sehn,

Ein solches feuriges Umarmen, Herzen, Drücken

Und Küssen hin und her, als wär' es nie geschehn.

Wir langten an bei ihr; ich blieb zum Abendessen

Und weil der Herr Marquis heut nicht nach Hause kam,

So hielt ich aus, bis Alles Abschied nahm

Und blieb die Nacht – wo? läßt sich leicht ermessen. –

Der Liebesgott verschmäht die Gold- und Seidenpracht

Des Schlafgemachs, des Bettes der Marquise;

Er fühlt sich nur auf blumenreicher Wiese

Und in des Hains geheimer Schattennacht,

Auf weichem Moos in seinem Paradiese.

Mein Herz erfuhr's; denn darin nur bestand

Mein ganzes Glück, daß ich mich hinter der Gardine

Mit einer hübschen Frau befand;

Allein sie hieß und war nicht mehr Aline. –

Ihr Liebenden, ist euch am Vollgenuß

Der Liebe, mindestens der Wollust, was gelegen,

So suchet ja ihn nicht auf meinen Wegen,

Wo man nur stets im Fluge nippen muß.

Mit Briefen vom Minister gilt kein Säumen;

Da muß man zur Armee zurück.

Dies unmeidbare Mißgeschick

Entrüttelte ich meinen Wonneträumen. –

Wie lange wird der Lug und Trug,

Des Prahlers Ruhm und so viel zarte Freuden,

Wie lange noch der Ruhe Glück verleiden?

Wie lange wird der Held des Krieges Fluch

Mehr als der Liebe Segen ehren? –

Jedoch auf dieser Weisheit Lehren

Hatt' ich in jener Zeit von Herzen wenig Acht;

Denn wenn man Hauptmann ist, so ist man drauf bedacht,

Vielmehr Major als Philosoph zu werden,

Und trotz den strengen Amtgeberden

Des ersten Matadors im Staatsrath und am Hof

Wird man viel leichter auch Major als Philosoph.

Es fing daher kaum an zu tagen,

So warf ich mich, am Herzen leicht und frei,

In meinen angeschirrten Wagen

Und ließ zu neuer Plackerei

Mich aus dem Schooß der Frau Marquise tragen. –

Nachdem ich funfzehn volle Jahr

Von Haus und Hof entfernt gewesen war

Und trotz der Tapferkeit, mit welcher ich gestritten,

So manchen Tort als Hieb und Schuß erlitten,

Mußt' ich als General für unsre Colonien

Mich nach Ostindien ein wenig noch bemühn.

Im Meer und im Roman mit Sturm sich zu befassen,

Sei jedem Robinson von Herzen überlassen.

Ich kam so gut man immer kann,

Ganz sonder Ungemach auf meinem Posten an.

Bei seinem Topf voll Reis, bei seinem Wasserkruge

Saß Alles, als ich kam, in Ruh und Harmonie,

Und meine Fahrt sah einer Lustpartie

Weit ähnlicher als einem Kriegeszuge.

Weil ich nun Nichts zu fechten vor mir fand,

So fing's mich an nach Reisen zu verlangen.

Gedacht, gethan. Ich strich von Land zu Land

Und blieb zuletzt im Reich Golkonde hangen,

Das vor ganz Asien in höchste Blüte stand.

Beglückt durch eine Frau, die hier das Scepter führte,

War alles Volk, weil Schönheit und Verstand,

Die des Monarchen Herz, und der sein Reich regierte.

Nicht nur des Staats Chatoullen waren voll,

Voll waren überall auch die der Untersassen.

Der Bauer ackerte nur für sein eignes Wohl.

Wie selten das! – Die Herren bei den Kassen

Erhuben fremdes Geld nicht für ihr eignes Wohl.

Wie noch weit seltner das! – Durch stattliche Gebäude

Nahm jede Stadt den Sinn der Schönheit ein.

So Herz als Auge fand am Volksgewimmel Weide,

Des Städters Angesicht entstrahlten Stolz und Freude,

Bewohner seiner Stadt zu sein.

Den Landmann hielt die Freiheit warm und trocken

Und gab ihm stets genug in seinen Napf zu brocken.

Zufrieden mit dem Glück, das ihm sein Stand verhieß,

Und auf die Ehre stolz, die Pflug und Spinnerocken

Die Weisheit dieses Staats erwies,

Ließ er sich seiner Flur durch keine Phantom entlocken.

Die Großen hielt der Zauberblick

Der schönen Königin mit Lust am Hof zurück;

Denn sie verstand die Kunst, die Treue zu belohnen

Und doch dabei den Schatz des Staates zu verschonen,

Die holde Kunst, die stets ihr Ziel erreicht

Und die, wie mir als Dilettanten däucht,

Zu selten nur die Königinnen üben,

Weil sie den Königen vielleicht

Nicht allerdings zu herzlichem Belieben

Gereichen mag, wenn sie Notiz beschleicht.

Den unsern hatte sie zum Glück noch nie erreicht.

Ich kam an diesen Hof und ward daselbst empfangen

So gut, als immer nur ein Fremdling mag verlangen.

Erst hatt' ich öffentlich beim Könige Gehör,

Dann bei der Königin, die ihren Schleier senkte.

Darob verwundert' ich nun freilich mich gar sehr;

Denn nach dem Attestat, so das Gerücht ihr schenkte,

Erwartet' ich hier keinen Schleier mehr.

Indessen muß ich doch zu ihrem Ruhme sagen,

Daß sie mich sonst mit alles Huld empfing.

Ich hatte weiter Nichts zu klagen,

Als daß der Schleier mir des Anblicks Lust verdarb,

Wonach ich in der That fast vor Begierde starb;

Denn daß sie schöner wär' als alle Huldgöttinnen,

Hatt' ich von Jedermann gehört.

Zudem ist auch, was großen Königinnen

Die gütige Natur beschert,

Der Neugier doppelt merkenswerth. –

Kaum bin ich wieder heim und glaube mich mein eigen,

So kommt ein Junker an, gesandt zu dem Behuf,

Mir morgen früh den schönen Park zu zeigen,

Den nach höchst eignem Plan die Königin erschuf.

Das nehm' ich dankbar an. Wir stehen

Schon mit der Sonne munter auf

Und nehmen Anfangs unsern Lauf

Durch ein Gewinde von Alleen

In eine Art von dicht verwachs'nen Hain,

Wo Pomeranzenbäum', Akazien und Myrten

Mit Frucht und Blütenduft im Schatten uns bewirthen.

An einen Baum in diesem Hain

Steht ein gesatteltes, gezäumtes Pferd gebunden.

Mein Führer springt hinauf, stößt in ein Silberhorn,

Das ihm am Halse hängt, gibt seinem Roß den Sporn

Und ist in wenigen Secunden

Aus meinem Aug' und meinem Ohr verschwunden.

Glossirend über diesen Sprung

Und ziemlich voll Verwunderung,

Daß man allhier die Fremden, statt spazieren,

Am Narrenseil nur irre sucht zu führen,

Verfolg' ich meinen Weg bis an des Wäldchens Rand.

Auf einmal ward die Gegend mir bekannt,

Und sieh! nach kurzem Weiterwandern

Liegt eine Landschaft vor mir da,

Die der, wo ich zuerst Alinen sah,

So ähnlich ist, als kaum ein Ei dem andern.

Bis auf das kleinste zeigen sich

Dasselbe Thal, dieselben Höhen,

Bekränzt mit Birken und mit Schlehen.

Es läßt dieselbe Lücke mich

Denselben Flur- und Gartenstrich

Und weiter hin dasselbe Dörfchen sehen.

Auch fehlt, wie sich verstehet, nicht

Der Pfad, der Bach, die schmale Brückenplanke.

Nur ein, das Mädchen, noch gebricht.

Kaum aber wünscht dies mein Gedanke,

So tritt auch das daher. Es trägt denselben Topf,

Vermuthlich auch voll Milch, auf seinem Kopf

Und ist an Kleidung, Wuchs, Gestalt und Gang und Miene

Von Haupt zu Fuß bis auf ein Haar – Aline.

»Ist das ein Traum? Ist es Bezauberung?

Ist's Wirklichkeit? Sind's leere Schattenbilder?«

Rief ich mit Ungestüm in wilder

Betäubender Verwunderung.

»Kein Zauber«, sagte sie, »kein Traum hat dich betrogen,

Kein leerer Schatten hat von mir

Dir Wirklichkeit nur vorgelogen;

Sie leibt und lebt: Aline steht vor dir.

Ihr Aug' und Herz verrieth dich gestern ihr.

Sie wünscht' in der Gestalt von dir erkannt zu werden,

Worin sie dir zum ersten Mal gefiel,

Und überraschte dich daher mit diesem Spiel.

Sie kommt, in deinem Arm von ihren Kronbeschwerden

Sich auszuruhn, und setzt auf ihren Kopf

Anstatt der Krone jenen Topf,

Stets unvergeßlich ihr auf Erden.

Durch dich nur fühlt die arme Milcherin

Sich glücklicher als jede Königin.« –

Mein Herz vergaß die Königin im Grünen;

Ich sah und hörte nur Alinen.

Wir waren Beide ganz allein,

Bedroht von keinem Freudenräuber.

Auch Königinnen sind bekanntermaßen Weiber:

Wie sollt' es nicht die von Golkonde sein?

Ich fühlte mich an Leib und am Gemüthe

In meiner ersten Jugendzeit

Und unterhielt daher die Königin noch heut,

Als ob die Königin noch wie Aline blühte,

Weil einer Königin, wie man gewöhnlich glaubt,

Auch selbst das Alter nie der Jugend Blüte raubt.

Nachdem wir so das Fest des Wiedersehns gefeiert

Und kräftiglich durch Wort und That

Den ersten Liebesbund erneuert,

Ließ sie sich ihren Hofornat

Durch eine traute Zofe bringen,

Die auf ihr Zeichen schnell aus nahem Buschwerk trat.

Sie entalinte sich, und unbefangen gingen

Wir auf das Schloß zurück. Des ganzen Hofes Staat

Erschien vor ihr in glänzender Parade,

Und Jedermann ward durch die Huld und Gnade,

Womit sie ihm entgegen kam, entzückt.

Der hier ward angeredt, Der dort ward angeblickt,

Und angelächelt wurden Alle;

Kurz, wie ein schönes Weib auf ihrem Ehrenballe,

Schien sie die Liebschaft Jedermanns, allein

Ganz Niemands Königin zu sein.

Nach aufgehobnem Mittagsmahle,

Das alle Welt mit ihr genoß,

Entzog sie sich mit mir dem Troß

Nach einem abgelegnen Saale,

Hier saß ich traulich neben ihr,

Und, meiner Neubegier zu steuern,

Gab sie getreu in nuce mir

Den zweiten Tom von ihren Abenteuern.

»Kaum warest du drei Monat aus Paris,

So zwang ein Ehrenpunkt, der sich nicht schlichten ließ,

Den Herrn von Castelmont zum hitzigsten Duelle,

Und leider! blieb er auf der Stelle.

Mir tiefgebeugten Wittwe blieb

Kein andrer Trost für diesen Sensenhieb

Als vierzigtausend Thaler jährlich,

Die Herr von Castelmont mir sicher hinterließ.

Um halb so viel noch drüber, wie es hieß,

Stand's in Sicilien beinah' etwas gefährlich,

Wofern ich nicht ohn' allen Zeitverlust,

Zur Wendung der fatalen Krise,

Mich selbst an Ort und Stelle wiese;

Auch diente zur Erleichterung der Brust,

Behauptete mein Arzt, die Reise der Marquise.

So schifft' ich denn mit vieler Lust

Mich ein, um nach Palermo abzufahren.

Doch ein conträrer Wind, der scharf aus Norden blies,

Verschlug uns von der Fahrt und stieß

Uns an die Küste der Barbaren,

Wo der conträrste der Corsaren

Sich weit conträrer noch bewies.

Das Schiff mit Mann und Maus und mit der Frau Marquise,

Wie sich von selbst versteht, ward des Corsaren Prise.

Der Capitän, ein Türk, verfuhr mit Jedermann

Von unserm Schiff so grausam und so feindlich,

Allein mit mir so gütig und so freundlich,

Als immer nur ein Türk' verfahren kann.

Nachdem er Algier er begrüßet,

Verschleppt' er mich nach Alexandrien.

Sans rime et sans raison ward er daselbst gespießet;

Mich aber bot man feil, nebst allem Seinigen.

Ein Handelsmann aus Indien

Erstand als Sklavin mich zu ungeheuerm Preise

Und brachte mich nach ziemlich langer Reise

Hierher. Ich lernte bald durch seinen Unterricht

Des Landes Sprache, Sitt' und Weise;

Nur die Geduld zur Knechtschaft lernt' ich nicht,

So leicht ich auch mich unter Armuth beugte.

Sobald daher Gelegenheit sich zeigte,

Hielt ich die Flucht für Menschenrecht und Pflicht.

Auf einer Jagd nach schönen Landestöchtern

Fiel ich von ungefähr des Königs Haremswächtern

Durch meine Schönheit in's Gesicht.

Man griff mich auf; dem Freiheitssinn zum Possen

Ward ich noch vor der Nacht in das Serail verschlossen. –

Kaum aber war der nächste Tag erwacht,

So sank der ganze Hof mir demuthsvoll zu Füßen,

Als Lieblingssultanin mich schuldigst zu begrüßen,

Wozu der König mich in der verwichnen Nacht

Durch sein: car tel est notre plaisir, gemacht.

Mein schönster Stern fing an nun aufzuglänzen.

Sowie die Leidenschaft des Königs alle Grenzen,

So überschritt sie meine Macht.

Golkonde beugte bald sich vor dem Scepter nieder,

Das ich so fertig schwang. Es hatte Nichts dawider,

Zur Allbeherrscherin das fremde Weib erhöhn

Und seinen König selbst, voran nur, knien zu sehn,

Allmächtig durch Gebot, durch Beispiel oder Bitte,

Vernichtet' ich und schuf nach Willkür jede Sitte.

In meiner großen Königsburg

Ließ ich mir nie das kleine Dorf entfallen,

Wo unverwelkt ich funfzehn Jahr hindurch

Das Blümlein Unschuld trug. Vor Allen

Schwebt noch das Thal, wo ich's an dich verlor,

Der Phantasie mit seinen Reizen vor.

Um mir das Bild noch voller zu beleben,

Sucht' ich mit Unverdrossenheit

Zu einer zweiten Wirklichkeit

Das holde Urselbst zu erheben.

Ich legt' im Park das kleine Dörfchen an,

Um mein Geburtsdorf nachzuahmen;

Ich gab ihm dessen theuern Namen

Und sah darin stets Jedermann

Für meinen Freund und Anverwandten an.

Ich bin in jenen kleinen Hütten

Mehr als in meinem Schloß zu Haus;

Ich füge mich in ihre Sitten,

Ich statte jedes Mädchen aus;

Die Alten lad' ich oft zu Tische,

Damit ihr Anblick immerdar

An mein geliebtes Aelternpaar

Die Anerinnerung, stets heilig mir, erfrische.

Von keiner Jagd wird hier der Halm zerknickt,

Das Gräschen wird nur von den Zephyrtänzen

Der frohen Jugend leicht gedrückt,

Und jedes Blümchen nur zu Kränzen

Von jungen Liebenden gepflückt.

Nie soll, solang' ich bin, auf meinen Lieblingsstellen

Die Axt der Ulmen eine fällen,

Die ich nachahmend ließ erziehn,

Um jene mir lebendig darzustellen,

Die Schatten unsrer Lust verliehn.

Beim Purpur und beim Hermeline

Ruht noch das schlichte Hirtenkleid

Der weiland dürftigen Aline

Und weckt im Glanz der Herrlichkeit

Die Anerinnerung der alten Dunkelheit.

Beständig wird's in ihr die Achtung nähren

Für jenen ersten Stand, worin

Sie achtungswerther war als jetzt die Königin.

Es wird sie überall den Stand der Menschheit ehren

Und besser als ein Buch die Kunst zu herrschen lehren.«

O welch ein Phönix seltner Art,

So eine Fürstin von Golkonde!

Was unter dieser Roberonde

Nicht Alles sich zusammenpaart!

Die beste Königin, der beste Herr und König,

Das beste Weib, der beste Philosoph,

Und – alles Das noch viel zu wenig! –

Die beste – Lustpartie am Hof.

Ach! Kaum erprobt' ich dies seit vierzehn Wonnetagen,

So überraschte mich mit ihr

Der Kronenträger selbst in seinem Schlaflosier

Und zwang mich, meinen Kopf und Kragen

Aus seinem schönen Staatsrevier

Durch's Kammerfenster wegzutragen. –

Ich kehrte drauf nach Frankreich bald zurück

Und erntete dort ungeheures Glück

Und Unglück, beiderlei sehr unverdienterweise.

Verarmt und hoffnungslos, verwünschend mein Geschick,

Macht' ich mich wieder fort auf eine lange Reise

Und strich seitdem von Land zu Land,

Bis und Euch hier in dieser Wüste fand.

Wenn ich mein Mißgeschick hier endlich noch verwinde,

So ist es, weil ich auf einmal

In diesem stillen Palmenthal

So Einsamkeit aus auch in Euch Gesellschaft finde. –

Bei diesen letzten Versen quält

Der Leser sich vielleicht mit peinlichem Gesichte.

Er dachte wol, ich hätte die Geschichte,

Die er hier las, für ihn erzählt.

Doch weiß er denn nicht mehr, was schon im Vorberichte

Mit dürren Worten für ihn steht?

Verzeih' er dann, wenn der Poet

Bis hierher sich an ein Persönchen wandte,

Das seinen Lebenslauf von ihm zu hören brannte,

Und welches er von selbst wol nimmermehr erräth:

Kurz, an ein altes Weib mit grauem Haar und Runzeln,

In Binsenstoff gehüllt, das schon seit manchem Jahr

Bewohnerin des Thals, worin ich ankam, war.

Daß ihr das Ding gefiel, verrieth ihr öfter's Schmunzeln,

Wiewol es manchen guten Schlag

Von Lesern sehr gelangweilt haben mag.

Als ich zu Ende war, sprach meine kleine Alte:

»Wißt Ihr, was ich von dem Histörchen halte?« –

»Nun, liebes Mütterchen?« – »Das Beste, daß Ihr's wißt,

Ist, daß es so hübsch wahr in jedem Wörtchen ist.« –

»Ei, Mütterchen, wer hat Euch das verbürget?

Ihr wißt, daß Einen nicht gleich jede Lüge würget;

Vielleicht erlog ich Alles Wort für Wort.« –

»Das weiß ich besser, Herr,« fuhr sie mit Lächeln fort,

»Ihr habt den Nagel voll auf seinen Kopf getroffen.« –

»Ei Mütterchen, ich will nicht hoffen,

Daß Ihr Euch gar mit schwarzer Kunst befaßt.« –

»O ganz und gar nicht, lieber Gast!

Allein die Eigenschaft von einem kleinen Ringe

Verbürget mir die Wahrheit dieser Dinge.« –

»Hoho, das wär' ein Ring, wie keiner noch sich fand,

Als der vom Salomo, der alle Geister bannt.« –

»Kennt«, sagte sie mit schlauen Lächelmienen,

»Kennt Ihr auch wol das Ringlein von Alinen?« –

»O Himmel!« rief ich aus, »Ihr seid es abermal?

Sprecht, welcher Kobold trieb Euch in dies öde Thal?« –

»Der Kobold«, sagte sie, »läßt sich nicht schwer errathen:

Es war der Zorn von meinem Herrn Gemahl.

Natürlich, daß ich mich nach jenen schönen Thaten,

So gut wie Ihr, durch's Fensterloch empfahl.

Ihr seid jedoch des Kobolds Prinzipal;

Ihr gabt, Ihr nahmet mir Golkondens Königskrone;

Ihr führtet mich, der Observanz zum Hohne,

Vom Hirtenthal hinauf zum Gold- und Marmorsaal

Und wiederum von da herab zum Thal,

Das ich seitdem in aller Ruh bewohne.« –

»O Himmel«, rief ich aus, »wie alt muß ich nicht sein!

Denn eben jetzo fällt mir ein,

Daß ich ein volles Jahr mehr als Aline zähle;

Allein, bei meiner armen Seele!

Kaum kann man älter noch als deine Runzeln sein.« –

»Was kümmert«, sprach sie augenblicklich

Mit ehrenfestem Ton, »uns die Verrunzelung?

Wir waren weiland schön und jung;

Jetzt laß uns weise sein und glücklich!

Wir haben in der Wollust Zeit,

Statt zu genießen, nur verschwendet.

Sie ist dahin! Die Freundschaft aber spendet

Uns ihre Güter auch noch heut:

Nun hübsch genossen, statt bereut!

Nur flüchtige Minuten währet

Der Wollust Honigsüßigkeit;

Allein der Freundschaft Segen nähret

Das Herz durch alle Lebenszeit.

Ein Tröpfchen Thau hast du in jener,

In dieser einen Diamant;

Und funkelt dieser gleich nicht schöner,

So weicht doch schon dem Hauche jener;

Dem Stahl thut dieser Widerstand.

Der eine borget seine Helle

Von einem fremden Strahle blos;

Der andre trägt an dessen Stelle

Sein Urlicht in selbsteignem Schooß

Und funkelt auch in dunkler Zelle.

Die Wollust ist des Glücks Verschwenderin,

Die Freundschaft dient ihm treu als Hausverwalterin.« –

Bewundernd sie, verachtend mich,

Warf ich mich vor der Lehrerin zur Erde.

Wie durch ein schöpferisches »Werde!«

Schnell umgestimmt empfand mein Wesen sich,

Und jede drückende Beschwerde

Der unzufriednen Wünsche wich.

Mein Herz empfand für sie mehr als es je empfunden.

Die seligsten von meinen Lebensstunden

Sind, inniglich vereint mit ihr,

Seit dieser Herzbekehrung mir,

Vom Vorurtheil der Welt und Leidenschaft entbunden,

Im Schooß der Einsamkeit und Freundschaft hingeschwunden.

Sie stärkte mich an Fuß und Hand,

Sowie an Herz und an Verstand;

Und im Gefühl der neuen Kräfte

Ergötzten Fuß, Hand, Geist und Herz

Sich auch am mühenden Geschäfte,

Als wär' es lauter Spiel und Scherz.

Den ganzen Tag sucht' ich mein Glück vergebens;

Ich fand es erst am Abend meines Lebens.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.