Gottfried August Bürger

Das Blümchen Wunderhold (Gottfried August Bürger)

         

Es blüht ein Blümchen irgendwo

In einem stillen Thal;

Das schmeichelt Aug' und Herz so froh

Wie Abendsonnenstrahl;

Das ist viel köstlicher als Gold,

Als Perl' und Diamant:

Drum wird es »Blümchen Wunderhold«

Mit gutem Fug genannt.

Wol sänge ich ein langes Lied

Von meines Blümchens Kraft,

Wie es am Leib und am Gemüth

So hohe Wunder schafft.

Was kein geheimes Elixir

Dir sonst gewähren kann,

Das leistet traun mein Blümchen dir!

Man säh' es ihm nicht an.

Wer Wunderhold im Busen hegt,

Wird wie ein Engel schön.

Das hab' ich, inniglich bewegt,

An Mann und Weib gesehn.

An Mann und Weib, alt oder jung,

Zieht's wie ein Talisman

Der schönsten Seelen Huldigung

Unwiderstehlich an.

Auf steifem Hals ein Strotzerhaupt,

Das über alle Höhn

Weit, weit hinauszuragen glaubt,

Läßt doch gewiß nicht schön.

Wenn irgend nun ein Rang, wenn Gold

Zu steif den Hals dir gab,

So schmeidigt ihn mein Wunderhold

Und biegt dein Haupt herab.

Es webet über dein Gesicht

Der Anmuth Rosenflor

Und zieht des Auges grellem Licht

Die Wimper mildernd vor.

Es theilt der Flöte weichen Klang

Des Schreiers Kehle mit

Und wandelt in Zephyrengang

Des Stürmers Poltertritt.

Der Laute gleicht des Menschen Herz,

Zu Sang und Klang gebaut;

Doch spielen sie oft Lust und Schmerz

Zu stürmisch und zu laut:

Der Schmerz, wann Ehre, Macht und Gold

Vor deinen Wünschen fliehn,

Und Lust, wann sie in deinen Sold

Mit Siegeskränzen ziehn.

O wie dann Wunderhold das Herz

So mild und lieblich stimmt!

Wie allgefällig Ernst und Scherz

In seinem Zauber schwimmt!

Wie man alsdann Nichts thut und spricht,

Drob Jemand zürnen kann!

Das macht, man trotzt und strotzet nicht

Und drängt sich nicht voran.

O wie man dann so wohlgemuth,

So friedlich lebet und webt!

Wie um das Lager, wo man ruht,

Der Schlaf so segnend schwebt!

Denn Wunderhold hält alles fern,

Was giftig beißt und sticht;

Und stäch' ein Molch auch noch so gern,

So kann und kann er nicht.

Ich sing', o Lieber, glaub' es mir

Nichts aus der Fabelwelt,

Wenngleich ein solches Wunder dir

Fast hart zu glauben fällt.

Mein Lied ist nur ein Widerschein

Der Himmelslieblichkeit,

Die Wunderhold auf groß und klein

In Thun und Wesen streut.

Ach! Hättest du nur Die gekannt,

Die einst mein Kleinod war –

Der Tod entriß sie meiner Hand

Hart hinterm Traualtar –,

Dann würdest du es ganz verstehn,

Was Wunderhold vermag,

Und in das Licht der Wahrheit sehn,

Wie in den hellen Tag.

O was des Blümchens Wunderkraft

Am Leib und am Gemüth

Ihr, meiner Holdin, einst verschafft,

Faßt nicht das längste Lied! –

Weil's mehr als Seide, Perl' und Gold

Der Schönheit Zier verleiht,

So nenn' ich's »Blümchen Wunderhold«.

Sonst heißt's – Bescheidenheit.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.