Gottfried Keller

Morgenwache (Gottfried Keller)

Nun, da diese alten Herrn

Tief im Rausche sanken,

Oben auch von Stern zu Stern

Morgennebel wanken:

Rücken wir zusammen

Unterm Gartentor,

Jetzt in neuen Flammen

Schlägt die Lust empor!

Dass der junge Sonnenball,

Rollt er auf den Hügeln,

Sich im funkelnden Kristall

Klärlich kann bespiegeln:

Halten wir entgegen

Becher ihm und Glas;

Fliesse, goldner Regen,

Glühe, dunkles Nass!

Jungfrau! Geh und sieh mir nach

Rings in allen Gärten,

Ob die Rosen schon sind wach,

Bring die tauverklärten!

Rosen, Rosen bringe!

Rosenduft soll wehn!

Wenn ich trink' und singe,

Muss ich Blumen sehn!

Horch! Der tiefe Amselschlag

Schallet aus den Gründen;

Treue Wächter soll der Tag

Heiter in uns finden.

Wer wird denn vermissen

Eine kurze Nacht,

Wenn sie sangbeflissen

Wacker durchgewacht?

Und der Lüge schwarzen Molch

Tapfer anzustechen,

Dem gemeinen Höllenstrolch

Kühn das Horn zu brechen:

Ja, die Nas' zu finden,

Die uns nicht gefällt,

Ziehn mit allen Winden

Fort wir in die Welt!