Ernst Stadler

Botschaft (Ernst Stadler)

1914

Du sollst wieder fühlen, daß alle stark und jungen Kräfte dich umschweifen,

Daß nichts stille steht, daß Gold des Himmels um dich kreist und Sterne dich umwehn,

Daß Sonne und Abend niederfällt und Winde über blaue Meeressteppen gehn,

Du sollst durch Sturz und Bruch der Wolken wilder in die hellgestürmten Himmel greifen.

 

Meintest du, die sanften Hafenlichter könnten deine Segel halten,

Die sich blähen wie junge Brüste, ungebärdig drängend unter dünner Linnen

Hut?

Horch, im Dunkel, geisterhafte Liebesstimme, strömt und lallt dein Blut –

Und du wolltest deine Hände müde zur Ergebung falten?

 

Fühle: Licht und Regen deines Traumes sind zergangen,

Welt ist aufgerissen, Abgrund zieht und Himmelsbläue loht,

Bis es grenzenlos zusammensinkt im Schrei von Lust und Glück und Tod.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008528-4
Erschienen im Buch "Der Aufbruch und andere Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.