Detlev von Liliencron

Über ein Knicktor gelehnt (Detlev von Liliencron)

Muß es sein - komm zuvor, komm zuvor;

im rücksichtslosen Angriff liegt der Sieg.

 

         

I

Über das Knicktor mich lehnend,

Pendelt lässig mein Stock

In den übereinandergelegten Händen.

So dicht stehn mir die nächsten Ähren

Des bald sensendurchsurrten Roggenfeldes,

Daß sie die Stirn mir kitzeln.

Schon bräunen sie sich;

Hell doch sticht ihre Farbe ab

Gegen den grünen Heckenzaun,

Gegen den umgrenzenden Wall,

Den roter Mohn,

Blaue Kaiserblumen,

Gelber Löwenzahn,

Weiße Kamillen

In bunter Malerei

Prächtig überflochten haben.

Wahrlich, ein reizender Kranz

Für das große Kornviereck;

Dankbar gewunden

- Ein wenig voreilig scheint mir -

Dem künftigen Segen.

Wie still es ist;

Wie die Lerche jubelt,

Wie die scheue Wiesenralle schnarrt.

Friede, deine Himmelsfahne

Hängt breit und ruhig

Über meinem Haupte.

Hör ich nicht plötzlich vor mir,

Weit hinter dem Getreideschlag,

Schwach, wie aus einem Tälchen steigend,

Den Vorwärtsmarsch?

Mein Stock pendelt nicht mehr;

Ich recke mich,

Um über die leis im Winde

Spielenden Halmspitzen zu schauen.

Und, keine Täuschung mehr,

Über den spielenden Halmspitzen

Glitzern blitzende Helmspitzen.

Immer deutlicher klingen

Die türkische Trommel,

Die Becken,

Die Tuben.

Voran, auf milchweißem Hengst,

Den purpurne Ziertroddeln umtanzen,

Der spanischen Schritt geht

Wie der Gaul im Kunstreiterzelt,

Führt der Oberst.

Und, eine einzige Linie,

Folgt sein Regiment:

Im Gleichschritt,

Ein wenig hörbarer

Den linken Fuß setzend,

Im Takte der Musik

Vor den Füßen

Das wachsende Brot;

Hinter den Füßen

Das zerstampfte Brot,

Die Wüste.

Schrecklich sind der Kriegsbestie

Zerkauende Kiefer;

Aber nie werden sie ruhen,

So lange der Menschen »verfluchte Rasse«

Die schöne Erde bevölkert.

Nur vorwärts, Grenadiere!

Kein Zagetreten!

Ihr verteidigt das Vaterland!

Über euren aufgepflanzten Seitengewehren,

Im rücksichtslosen Angriff,

Schwebt die Siegesgöttin,

Hinter ihnen her zieht schnell der Friede.

Doch ach, ist sein Triumph

Der Triumph ewiger Dauer?

 

II

Oftmals hab ich schon in ihren Armen gedichtet,

Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand

Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmete lieblichen Schlummer.

Und es durchglüht ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust.

Römische Elegien, V.

 

               

Goethe, du Prachtkerl,

Wußtest du nicht,

Als du diese Doppelzeilen uns schenktest,

Daß die deutsche Schönwissenschaft

Von den Familienmüttern

Streng geprüft und überwacht wird?

Daß das Heer

Der albernen Beurteiler,

Die nicht mitfühlen können,

Elender Allerweltsschwätzer

Dich in die Hölle verdammen,

Dich gehässig begeifern würde?

Und du nanntest diese Krächzer,

Diese beschränkten, hämischen Heuler,

Diese kleinlichen Seelen,

Die deine Anmut,

Deine goldene Künstlerhand

Nicht einmal ahnen können

In ihrer geheuchelten Tugend,

In ihren gräßlichen Mathematikherzen,

In ihrer skatledernen Dürftigkeit -

Du nanntest diese Gesellschaft

Hunde?

Diese Gesellschaft:

Nüchterner als die weißen Kalkwände

Einer lutherischen Dorfkirche;

Hochmütiger als Satanas;

Die, wenn sie nicht anders kann,

Als ein Anerkennungchen

Sagen zu müssen,

Mit sauersüßen Mienen

Stets beginnt:

»Ich gebe ja zu, daß...«

Diese Gesellschaft

- Ich frage dich zum andern Mal -

Nanntest du

Hunde?

Gewaltiger! Ich lache dich aus,

Daß du einige Stunden

Dir verbittern ließest

Durch Hunde.

Einst, du Hoher,

Fingerte ich Verse wie du.

Himmlisch war es.

Gaukelnd von Holdchen zu Holdchen,

- Abwechslung verdumpft das Herz nicht -

Hatt' ich sie alle so gern.

Freilich, der Philister schaudert

Bei diesen Worten;

Annehmbarer schon klingt es der biederen Seele,

Zahmer, harmloser, erlaubt.

Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen

Damals dacht' ich nicht an dich,

Du treues Roggenfeld.

Rosen wand ich

Der Liebsten ins Haar;

Mit Spangen und Ringen

Schmückt' ich ihr Arm und Hände,

Heute steh ich ernst am Knicktor,

Zusammengerafft,

Klarer, denkender,

Der gefällten Ähre

Unvergleichliche Wichtigkeit erkennend.

 

III

Das Beste

Von allem das best'

Ist ein Herz, heiter und fest,

Ein gesunder Leib,

Ein liebes Weib

Und ein kleines Eigen,

Wer das hat, mag sich freun und schweigen.

Johannes Trojan

 

Doch, doch! Bei dem ewigen Himmel!

Kranz und Krone, ihr winkt

In des schicksalumlauerten Lebens

Atemlosem Wettlauf:

Ein kleines Eigen,

Ein liebes, stolzes Weib.

Dann: Ein gerader Sinn,

Ruhig Überlegen,

Richtig Fühlenkönnen:

Das ist der Weg der Wahrheit,

Den ich gehe.

Und unablässig die Bitte

An die Sterne:

Daß ich ein guter, edler Mensch werde;

Daß ich dem Nachbar helfe, wo ich kann,

Daß ich ein frisches Herz behalte,

Ein fröhliches!

Trotz allem Drang und Druck der Erde.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.