August von Platen

Die Sänger des Altertums (August von Platen)

               

Bei dem rauschenden Quell, welcher durch Blumen fließt,

Denk ich deiner mit Lust, deiner gekräuselten

    Wellen, o Arethusa,

        Und ich träum an dein Ufer mich.

Und der ältesten Welt zitherberührende

Sänger seh ich vor mir wandeln mit leiserem

    Tritte. Vater Homeros

        Geht voran, mit der Leier Schmuck.

Sicher geht er, obgleich ohne der Augen Licht,

Und es fließet das Haar von der gepriesenen

    Schulter des Mäoniden,

        Fließt im Silbergelock herab.

Helmumflattert erscheint Hektor mir, Helena

Seh ich täuschend im Geist, seh ich die herrliche

    Mit dem langen Gewande,

        Und mit rüstigem Speer Achill.

Und Homeros verläßt mich, und es steht vor mir

Eine lesbische Jungfrau, mit dem traurigen

    Zuge bitteren Grames,

        Und die Zither in ihrer Hand.

Sappho! ruf ich, es ruft Sappho das Echo mir,

Und sie schwebt mir vorbei; aber mit fröhlicheren

    Spiel Anakreon seh ich,

        Pindar, seines Jahrhunderts Stolz.

Naso hör ich ein Lied singen im klagenden

Ton von Pontus, er schwebt geistigen Fluges hin;

    Aber glänzender folgt ihm

        Maro, lorbeerbekränzt, im Schmuck.

Reicht mir, Musen, den Kranz, reicht mir das Saitenspiel,

Rief ich, daß ich, auch ich, werde wie jene, mit

    Hohen, zaubrischen Tönen

        Sanft berausche der Hörer Ohr!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-000291-5
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.