Wilhelm Müller

Der Glockenguß zu Breslau (Wilhelm Müller)

       

War einst ein Glockengießer

Zu Breslau in der Stadt,

Ein ehrenwerter Meister,

Gewandt in Rat und Tat.

Er hatte schon gegossen

Viel Glocken, gelb und weiß,

Für Kirchen und Kapellen

Zu Gottes Lob und Preis.

Und seine Glocken klangen

So voll, so hell, so rein:

Er goß auch Lieb und Glauben

Mit in die Form hinein.

Doch aller Glocken Krone,

Die er gegossen hat,

Das ist die Sünderglocke

Zu Breslau in der Stadt.

Im Magdalenenturme

Da hängt das Meisterstück,

Rief schon manch starres Herze

Zu seinem Gott zurück.

Wie hat der gute Meister

So treu das Werk bedacht!

Wie hat er seine Hände

Gerührt bei Tag und Nacht!

Und als die Stunde kommen,

Daß alles fertig war,

Die Form ist eingemauert,

Die Speise gut und gar:

Da ruft er seinen Buben

Zur Feuerwacht herein:

Ich laß auf kurze Weile

Beim Kessel dich allein.

Will mich mit einem Trunke

Noch stärken zu dem Guß;

Das gibt der zähen Speise

Erst einen vollen Fluß.

Doch hüte dich, und rühre

Den Hahn mir nimmer an:

Sonst wär es um dein Leben,

Fürwitziger, getan!

Der Bube steht am Kessel,

Schaut in die Glut hinein:

Das wogt und wallt und wirbelt,

Und will entfesselt sein.

Und zischt ihm in die Ohren,

Und zuckt ihm durch den Sinn,

Und zieht an allen Fingern

Ihn nach dem Hahne hin.

Er fühlt ihn in den Händen,

Er hat ihn umgedreht:

Da wird ihm angst und bange,

Er weiß nicht, was er tät.

Und läuft hinaus zum Meister,

Die Schuld ihm zu gestehn,

Will seine Knie umfassen

Und ihn um Gnade flehn.

Doch wie der nur vernommen

Des Knaben erstes Wort,

Da reißt die kluge Rechte

Der jähe Zorn ihm fort.

Er stößt sein scharfes Messer

Dem Buben in die Brust,

Dann stürzt er nach dem Kessel,

Sein selber nicht bewußt.

Vielleicht, daß er noch retten,

Den Strom noch hemmen kann:

Doch sieh, der Guß ist fertig,

Es fehlt kein Tropfen dran.

Da eilt er, abzuräumen,

Und sieht, und will's nicht sehn,

Ganz ohne Fleck und Makel

Die Glocke vor sich stehn.

Der Knabe liegt am Boden,

Er schaut sein Werk nicht mehr.

Ach, Meister, wilder Meister,

Du stießest gar zu sehr!

Er stellt sich dem Gerichte,

Er klagt sich selber an:

Es tut den Richtern wehe

Wohl um den wackern Mann.

Doch kann ihn keiner retten,

Und Blut will wieder Blut:

Er hört sein Todesurtel

Mit ungebeugtem Mut.

Und als der Tag gekommen,

Daß man ihn führt hinaus,

Da wird ihm angeboten

Der letzte Gnadenschmaus.

Ich dank euch, spricht der Meister,

Ihr Herren lieb und wert,

Doch eine andre Gnade,

Mein Herz von euch begehrt.

Laßt mich nur einmal hören

Der neuen Glocke Klang!

Ich hab sie ja bereitet:

Möcht wissen, ob's gelang.

Die Bitte ward gewähret,

Sie schien den Herrn gering,

Die Glocke ward geläutet,

Als er zum Tode ging.

Der Meister hört sie klingen,

So voll, so hell, so rein:

Die Augen gehn ihm über,

Es muß vor Freude sein.

Und seine Blicke leuchten,

Als wären sie verklärt:

Er hatt in ihrem Klange

Wohl mehr als Klang gehört.

Hat auch geneigt den Nacken

Zum Streich voll Zuversicht;

Und was der Tod versprochen,

Das bricht das Leben nicht.

Die ward zur Sünderglocke

Seit jenem Tag geweiht:

Weiß nicht, ob's anders worden

In dieser neuen Zeit.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.