Theodor Körner

Das gestörte Glück (Theodor Körner)

             

Ich hab' ein heißes junges Blut,

    Wie ihr wohl alle wißt.

Ich bin dem Küssen gar zu gut

    Und hab' noch nie geküßt.

Denn ist mir auch mein Liebchen hold,

's war doch, als wenn's nicht werden sollt'.

    Trotz aller Müh' und aller List

    Hab' ich doch niemals noch geküßt.

Des Nachbars Röschen ist mir gut;

    Sie ging zur Wiese früh.

Ich lief ihr nach und faßte Mut

    Und schlang den Arm um sie;

Da stach ich an dem Miederband

Mir eine Nadel in die Hand;

    Das Blut lief stark, ich sprang nach Haus,

    Und mit dem Küssen war es aus.

Jüngst ging ich so zum Zeitvertreib

    Und traf sie dort am Fluß;

Ich schlang den Arm um ihren Leib

    Und bat um einen Kuß.

Sie spitzte schon den Rosenmund;

Da kam der alte Kettenhund

    Und biß mich wütend in das Bein;

    Da ließ ich wohl das Küssen sein.

Drauf saß ich einst vor ihrer Tür

    In stiller Freud' und Lust;

Sie gab ihr liebes Händchen mir,

    Ich zog sie an die Brust.

Da sprang der Vater hinterm Tor,

Wo er uns längst belauscht, hervor,

    Und wie gewöhnlich war der Schluß:

    Ich kam auch um den dritten Kuß.

Erst gestern traf ich sie am Haus;

    Sie rief mich leis' herein.

»Mein Fenster geht in'n Hof hinaus;

    Heut abend wart' ich dein.«

Da kam ich denn im Liebeswahn

Und legte meine Leiter an;

    Doch unter mir brach sie entzwei,

    Und mit dem Küssen war's vorbei.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Körners Werke"
Herausgeber: Max Hesses Verlag