Richard Dehmel

Bleiche Nacht (Richard Dehmel)

Der Nebel staut sich,

Hütten dunkeln,

Dorfgiebel huschen über Lichtern hin,

noch bleicher scheint die Nacht;

die jagende Wagenkette,

schwenkend, strafft sich,

die Maschine heult Warnung,

und vorbei.

Ein entlaubter Kirchhof,

und wieder kreisen

um mein klirrendes Fenster

die öden Wiesen,

huschen Büsche,

eilt der fahle Streifen Horizont

auf den kriechenden Wäldern hin;

mich fröstelt.

Mein Fenster schwitzt;

das kühlt die Stirne;

gleich und gleich gesellt sich gern.

Wirbelnd rollt ein funkendurchwirkter Dampfknäul

bleich ins bleiche Feld;

ein Dornbusch zerreißt ihn.

Jetzt: dort starrt,

wie durch ein Gitter ein Wahnsinnskopf,

der grelle Vollmond durch die kahlen Birken.

Er springt durchs Astwerk;

mit seinen langen blassen Füßen

läuft er auf den blanken Schienen

meinen rasenden Gedanken nach.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008596-9
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.