Rainer Maria Rilke

Alkestis (Rainer Maria Rilke)

                   

       

Da plötzlich war der Bote unter ihnen,

hineingeworfen in das Überkochen

des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz.

Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes

heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit

so an sich hielt wie einen nassen Mantel

und ihrer einer schien, der oder jener,

wie er so durchging. Aber plötzlich sah

mitten im Sprechen einer von den Gästen

den jungen Hausherrn oben an dem Tische

wie in die Höh gerissen, nicht mehr liegend,

und überall und mit dem ganzen Wesen

ein Fremdes spiegelnd, das ihn furchtbar ansprach.

Und gleich darauf, als klärte sich die Mischung,

war Stille; nur mit einem Satz am Boden

von trübem Lärm und einem Niederschlag

fallenden Lallens, schon verdorben riechend

nach dumpfem umgestandenen Gelächter.

Und da erkannten sie den schlanken Gott,

und wie er dastand, innerlich voll Sendung

und unerbittlich, – wußten sie es beinah.

Und doch, als es gesagt war, war es mehr

als alles Wissen, gar nicht zu begreifen.

Admet muß sterben. Wann? In dieser Stunde.

Der aber brach die Schale seines Schreckens

in Stücken ab und streckte seine Hände

heraus aus ihr, um mit dem Gott zu handeln.

Um Jahre, um ein einzig Jahr noch Jugend,

um Monate, um Wochen, um paar Tage,

ach, Tage nicht, um Nächte, nur um Eine,

um Eine Nacht, um diese nur: um die.

Der Gott verneinte, und da schrie er auf

und schrie's hinaus und hielt es nicht und schrie

wie seine Mutter aufschrie beim Gebären.

Und die trat zu ihm, eine alte Frau,

und auch der Vater kam, der alte Vater,

und beide standen, alt, veraltet, ratlos,

beim Schreienden, der plötzlich, wie noch nie

so nah, sie ansah, abbrach, schluckte, sagte:

Vater,

liegt dir denn viel daran an diesem Rest,

an diesem Satz, der dich beim Schlingen hindert?

Geh, gieß ihn weg. Und du, du alte Frau,

Matrone,

was tust du denn noch hier: du hast geboren.

Und beide hielt er sie wie Opfertiere

in Einem Griff. Auf einmal ließ er los

und stieß die Alten fort, voll Einfall, strahlend

und atemholend, rufend: Kreon, Kreon!

Und nichts als das; und nichts als diesen Namen.

Aber in seinem Antlitz stand das Andere,

das er nicht sagte, namenlos erwartend,

wie ers dem jungen Freunde, dem Geliebten,

erglühend hinhielt übern wirren Tisch.

Die Alten (stand da), siehst du, sind kein Loskauf,

sie sind verbraucht und schlecht und beinah wertlos,

du aber, du, in deiner ganzen Schönheit –

Da aber sah er seinen Freund nicht mehr.

Er blieb zurück, und das, was kam, war sie,

ein wenig kleiner fast als er sie kannte

und leicht und traurig in dem bleichen Brautkleid.

Die andern alle sind nur ihre Gasse,

durch die sie kommt und kommt –: (gleich wird sie da sein

in seinen Armen, die sich schmerzhaft auftun).

Doch wie er wartet, spricht sie; nicht zu ihm.

Sie spricht zum Gotte, und der Gott vernimmt sie,

und alle hörens gleichsam erst im Gotte:

Ersatz kann keiner für ihn sein. Ich bins.

Ich bin Ersatz. Denn keiner ist zu Ende

wie ich es bin. Was bleibt mir denn von dem

was ich hier war? Das ists ja, daß ich sterbe.

Hat sie dirs nicht gesagt, da sie dirs auftrug,

daß jenes Lager, das da drinnen wartet,

zur Unterwelt gehört? Ich nahm ja Abschied.

Abschied über Abschied.

Kein Sterbender nimmt mehr davon. Ich ging ja,

damit das Alles, unter Dem begraben

der jetzt mein Gatte ist, zergeht, sich auflöst –.

So führ mich hin: ich sterbe ja für ihn.

Da schlug er jäh

die Hände vors Gesicht, wie er so kniete,

um nichts zu sehen mehr nach diesem Lächeln.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.