Ottokar Kernstock

Ein Traumgesicht (Ottokar Kernstock)

Sie schmähten meine Harfe,

Sie schalten ihren Klang,

Der minniglichen Maiden,

Den holden Augenweiden,

Manch zartes Loblied sang.

Er feiert Frauenschöne

Und trägt ein Mönchsgewand?

Wann wurde je vernommen

Solch Ärgernis der Frommen

Im lieben Osterland?...

Als ich zerknirscht vorm Schlafen

An meine Schelter sann,

War's mir im Traum, als träte

Bescheidentlich zum Bette

Ein schlichter Gottesmann.

"Ich kam, um dich zu trösten,"

So hub er an, "mein Sohn!

Ein Seliger bin ich heute,

Einst nannten micht die Leute

Den Mönch von Montaudon.

Ich ritt in alle Burgen

Am Ufer der Durance.

Von Frauenminne sang ich

Und alle Herzen zwang ich

Der liederfroh'n Provence.

Doch als ich fuhr gen Himmel,

Schloß Petrus flugs die Tür'

Und zürnend rief der Jünger:

Gemünchter Minnesinger,

Hebe dich weg von hier!

Wer reine Minne predigt,

Der übt ein heilig Amt.

Sie loben heißt Gott loben;

Denn Minne führt nach oben,

Weil sie von oben stammt.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Tageweisen"
Herausgeber: Braun und Schneider