Michael Georg Conrad

Der Säemann (Michael Georg Conrad)

Immer seh' ich dich so, mein Vater,

zu jeder Zeit des Jahres, so oft ich dein gedenke:

als Säemann.

Und deine Söhne, groß und schlank wie du,

ganz dein verjüngtes Bild,

barhäuptig und barfuß

am Pflug.

Ein breiter Acker,

aus der Mulde, die so windstill,

nach der Höhe, luftig bewegt.

Lang am Wald hin

dunkle Eichen und helle Birken,

und wilde Heckenrosen am Rain

in runden Büschen,

an den Dornen Wollen-Flöckchen.

Die frisch gebrochenen Furchen braun

und dampfend im herben, würzigen Frühwind.

Hinter uns stolzierend

der schwarzglänzende Rabe,

emsig im Spähen nach des Engerlings fettem Wurm.

Weiße Wolken

als träumende Schäfchen

hinziehend am hohen Himmel.

Du in langen Schritten gradaus,

kräftig atmend,

das Auge hell und fest.

Kuckucksruf aus dem Wald:

Du blickst uns an und lächelst schalkhaft.

Wir klopfen dreimal an die Tasche.

Nun gürtest du um den Leib

den grauen, körnerschweren Samensack.

Der rechte Arm,

nackt bis zum Ellenbogen,

mit flatterndem Ärmel,

geht im Schwung mit dem Schritt.

Aus der Hand fliegen sausend im Bogen

die Körner, sorglich erlesen,

glatt und prall und glänzend in Keimkraft.

Stillbedächtig,

wie in verhaltener Lust,

empfängt sie die Erde und zieht sie ein

in den harrenden Schoß,

Hampfel um Hampfel.

Immer seh' ich dich so, mein Vater,

als Säemann.

Immer so im festen Schritt

über den frischgepflügten, dampfenden Acker hin,

wie von heimlicher Musik

aus der Tiefe der Erde begleitet,

von segnenden Winden umsungen

aus des Himmels leuchtender Höhe.

Und deine Söhne alle, emsig wie du,

was auch sonst ihre Hantierung,

immer wieder am Pflug,

bespannt mit jungen Stieren, gelben und weißen,

weit leuchtend über die Felder hin.

Und aus der Ferne

hör' ich den Zuruf der Mutter, lieb und fröhlich:

»Wie seid ihr fleißig heute!«

Dann erscheint sie,

die Hand schirmend über den lachenden Augen,

die feine Gestalt umflossen vom goldenen Licht:

»Längst ist vorüber der Mittag,

habt ihr nicht läuten gehört?

Kommt jetzt, der Tisch ist bereitet,

Linsensuppe gibt's und Spätzli -«

Und wir wischen uns den Schweiß von der Stirn:

»Gleich, Mutter, gleich.

Wir sind hungrig wie Wölfe.«

Immer seh' ich uns so, ganz deutlich,

und hör' jedes Wort

von dir und der seligen Mutter.

So lange ist's her, so lange, so lange.

Und immer noch schwillt uns das Herz

in Hoffnung künftiger Ernten.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Vom goldnen Überfluss"
Herausgeber: R. Voigtländers Verlag