Martin Opitz

Vber den Abschied einer Edelen Jungfrawen (Martin Opitz)

       

GLeich wie zu Sommerszeit wann alles frölich blühet /

Vnnd man sich Wald / Feld / Berg vnnd Thal verjüngen sihet /

Vor aller Blumen Schar / so jrrgend mögen seyn /

Die zarte Lilie leßt blicken ihren Schein:

Es fliegen auff sie zu die Bienen hauffen weise /

Vnd saugen mit Begier die angenehme Speise /

Vnd wohlgeschmackten Safft; sie hebt ihr Haupt empor;

Es gläntzt ihr weisses Kleyd vor allen Blumen vor:

Jhr lieblicher Geruch erfrewet Hertz' vnd Sinnen;

Man muß ihr günstig seyn / vnd muß sie lieb gewinnen:

Der schöne Zephyrus wird gegen ihr entzünd /

Vnd weht auß Huld jhr zu den süssen Liebeswind.

Bald kömpt der scharpffe Nord gantz vnverhofft gebrauset

Quer vber Feld daher / pfeifft / heulet / singt vnd sauset /

Vnd nimpt die Lilie mit Vngestümme hin;

Die liebliche Gestalt bricht nichts nicht seinen Sinn.

Das grüne Feld beginnt vmb seine Zier zu trawren /

Die andern Blumen auch muß jhre Schwester tawren /

Die Bienen fliegen selbst vor Schmertz vnd Trawrigkeit

Verjrrt jetzt hin / jetzt her / vnd tragen grosses Leyd.

So bistu auch zuvor / du schöneste / gewesen /

Du stirbst / durch welch' ich mir verhoffte zu genesen /

O du mein Trost zuvor: jetzt bistu nackt vnd bloß /

Vnd kriegest einen Sarch vor deines Liebsten Schoß.

Du weisse Lilie / du Spiegel aller Tugend /

In deiner besten Blüt' vnd in der grünen Jugend

Kürtzt dir der grimme Tod dein schnelles Leben ab /

Vnd führet dich behend' auß dieser Welt ins Grab.

Doch bistu nun von jhr vnd jhrer Noth gerissen;

Ich muß hier ohne dich in Qual vnd Trawren büssen;

Ich wall' im weiten Meer / in Wellen aller Noth.

Du bist tod lebendig / ich bin lebendig tod.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-000361-X
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.