Heinrich Seidel

Harun Raschid langweilt sich (Heinrich Seidel)

Harun Raschid langweilt sich

Den Kalifen Harun Raschid

Plagte böse Langeweile

Eines Abends - schier gestorben

Schien ihm jegliche Empfindung

Für der Menschheit Lust und Schmerzen,

Und er sprach zu dem Vertrauten!

"Weisst du gar nichts auszusinnen,

Um zu lindern meine Pein?"

Und es sprach der kluge Mesrur:

"Vieles schuf ja der Allmächt'ge,

Menschenherzen zu erfreuen.

Steig' empor auf die Terrasse,

Lasse deine Blicke weiden

An dem schimmervoll erhabnen,

Ungezählten Heer der Sterne."

"Mesrur, ach das freut mich nicht!"

"Nun, so öffne jene Fenster,

Die auf deinen Garten ausgehn:

Horch' im rosenduftgetränkten

Anhauch sanfter Abendwinde

Dem Gesang der Nachtigallen,

Horche, wie des Schöpfrads Schnarren

Sich vermischt dem Sang der Grillen!"

"Mesrur, ach das freut mich nicht!"

"Oeffne dann, o Fürst der Gläub'gen,

Jene Fenster nach dem Strome,

Wo die Mastenwälder ragen,

Schlanke Kähne eilig gleiten,

Und ein märchenhafter Würzduft

Unbekannter fremder Länder

Seltsamlich zu dir emporsteigt!"

"Mesrur, ach das freut mich nicht!"

"Lasse deine Pferde bringen,

Deine Stuten aus Arabien,

Hengste, schlank und schenkelzierlich,

Rappen, glatt und schwarz wie Kohlen,

Schöngefleckte Apfelschimmel,

Falbe, golden wie die Sonne,

Feuerglänzendrothe Füchse!"

"Mesrur, ach das freut mich nicht!"

"Fürst der Gläub'gen, an dreihundert,

Schöne Weiber birgt dein Harem,

Manche schlank und manche üppig,

Weisse, schwarze, grosse, kleine,

Unschuldsvolle Rosenknospen

Und in Wollust ausgelernte:

Lass sie spielen, singen, tanzen!"

"Mesrur, ach das freut mich nicht!"

"Nun, wahrhaftig, Fürst der Gläub'gen,

Nichts mehr weiss ich zu vermelden,

Einzig nur: Lass deinem Sklaven

Dieses Haupt, das nicht vermochte,

Lieblich deine Zeit zu kürzen,

Zu erfinden, was sich freute,

Eilig vor die Füsse legen,

Denn er hat es wohl verdient!"

In den Vorsaal ging nun Mesrur,

Ob nicht dort ein Fremder harre,

Dem es wohl gelingen möchte,

Zu erheitern den Chalifen

Durch besondere Erfindung,

Und nach einer kurzen Weile

Freudig mit dem Dichter Dschemil

Kehrte eilend er zurück.

Dieser grüsste den Chalifen

Ehrfurchtsvoll und unterthänig.

Und er stimmte seiner Laute

Silbertonbegabte Saiten,

Strich sich dreimal seines langen

Seidenweichen Bartes Fülle,

Und in holdbewegten Tönen

Alsobald erklang sein Lied.

Und er sang vom schimmervollen

Ungezählten Heer der Sterne,

Sang von Nachtigall und Rosen,

Von den Wundern ferner Länder,

Von des edlen Pferdes Tugend,

Sang - was niemals ausgesungen -

Von den Reizen schöner Frauen

Ein begeistert Liebeslied.

Sonderbar - was noch soeben

Dem Chalifen fast verhasst war,

Nun im Liede dieses Sängers

Stand es neu in goldnem Schimmer.

Und er strich den Bart behaglich,

Seines Auges Feuer glänzte,

Und die Wolke düstern Unmuts

Schwand hinweg von seiner Stirn.

"Wahrlich!" rief er "wackrer Dschemil,

Herrlich ist die Kunst des Dichters

Und des höchsten Preises würdig!

Lohnen will ich diese Stunde,

Wie es eines Fürsten werth ist,

Dankbar, dass des Unmuts Dämon

Mit den süssen Melodieen

Siegreich du hinweggescheucht!"

Also dankte Harun Raschid

Königlich dem Dichter Dschemil,

Dankte mit dem Gold der Erde

Für das edle Gold des Himmels,

Das sich aus dem Lied des Sängers

Siegreich leuchtend rings verbreitet

Und zu neuem Glanz verschönet

Alle Dinge dieser Welt!

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind