Gottfried August Bürger

Die Entführung, oder Ritter Karl von Eichenhorst und Fräulein Gertrude von Hochburg (Gottfried August Bürger)

oder

Ritter Karl von Eichenhorst

und Fräulein Gertrude von Hochburg.

                   

   

»Knapp', sattle mir mein Dänenroß,

Daß ich mir Ruh' erreite!

Es wird mir hier zu eng' im Schloß;

Ich will und muß ins Weite!« –

So rief der Ritter Karl in Hast,

Voll Angst und Ahnung, sonder Rast.

Es schien ihn fast zu plagen,

Als hätt' er Wen erschlagen.

Er sprengte, daß es Funken stob,

Hinunter von dem Hofe;

Und als er kaum den Blick erhob,

Sieh da! Gertrudens Zofe!

Zusammenschrak der Rittersmann;

Es packt ihn wie mit Krallen an

Und schüttelt ihn wie Fieber

Hinüber und herüber.

»Gott grüß' Euch, edler junger Herr!

Gott geb' Euch Heil und Frieden!

Mein armes Fräulein hat mich her

Zum letzten Mal beschieden.

Verloren ist Euch Trudchen's Hand!

Dem Junker Plump von Pommerland

Hat sie vor aller Ohren

Ihr Vater zugeschworen.«

»»Mord!«« flucht er laut, bei Schwert und Spieß,

»»Wo Karl dir noch gelüstet,

So sollst du tief in's Burgverlies,

Wo Molch und Unke nistet.

Nicht rasten will ich Tag und Nacht,

Bis daß ich nieder ihn gemacht,

Das Herz ihm ausgerissen

Und das dir nachgeschmissen.««

Jetzt in der Kammer zagt die Braut

Und zuckt vor Herzenswehen

Und ächzet tief und weinet laut

Und wünschet zu vergehen.

Ach! Gott, der Herr, muß ihrer Pein,

Bald muß und wird er gnädig sein.

Hört Ihr zur Trauer läuten,

So wißt Ihr's auszudeuten. –

»»Geh, meld' ihm, daß ich sterben muß!««

Rief sie mit tausend Zähren.

»»Geh, bring' ihm, ach! den letzten Gruß,

Den er von mir wird hören!

Geh unter Gottes Schutz und bring

Von mir ihm diesen goldnen Ring

Und dieses Wehrgehenke,

Wobei er mein gedenke!«« –

Zu Ohren braust' ihm, wie ein Meer,

Die Schreckenspost der Dirne.

Die Berge wankten um ihn her,

Es flirrt' ihm vor der Stirne.

Doch jach, wie Windeswirbel fährt

Und rührig Laub und Staub empört,

Ward seiner Lebensgeister

Verzweiflungsmuth nun Meister.

»Gottslohn! Gottslohn! du treue Magd,

Kann ich's dir nicht bezahlen.

Gottslohn! daß du mir's angesagt,

Zu hunderttausend Malen.

Bis wohlgemuth und tummle dich!

Flugs tummle dich zurück und sprich:

Wär's auch aus tausend Ketten,

So wollt' ich sie erretten!

Bis wohlgemuth und tummle dich!

Flugs tummle dich von hinnen!

Ha! Riesen, gegen Hieb und Stich,

Wollt' ich sie abgewinnen.

Sprich: Mitternachts, bei Sternenschein,

Wollt' ich vor ihrem Fenster sein,

Mir geh' es, wie es gehe!

Wohl, oder ewig wehe.

Risch auf und fort!« – Wie Sporen trieb

Des Ritters Wort die Dirne.

Tief holt' er wieder Luft und rieb

Sich's klar vor Aug' und Stirne.

Dann schwenkt' er hin und her sein Roß,

Daß ihm der Schweiß vom Buge floß,

Bis er sich Rath ersonnen

Und den Entschluß gewonnen.

Drauf ließ er heim sein Silberhorn

Von Dach und Zinnen schallen.

Herangesprengt durch Korn und Dorn

Kam stracks ein Heer Vasallen.

Draus zog er Mann bei Mann hervor

Und raunt' ihm heimlich Ding in's Ohr: –

»Wolauf! Wolan! Seid fertig

Und meines Horns gewärtig!« –

Als nun die Nacht Gebirg' und Thal

Vermummt in Rabenschatten

Und Hochburg's Lampen überall

Schon ausgeflimmert hatten

Und alles tief entschlafen war,

Doch nur das Fräulein immerdar

Voll Fieberangst noch wachte

Und seinen Ritter dachte:

Da horch! ein süßer Liebeston

Kam leis' emporgeflogen.

»Ho, Trudchen, ho! Da bin ich schon!

Risch auf! Dich angezogen!

Ich, ich, dein Ritter, rufe dir;

Geschwind, geschwind herab zu mir!

Schon wartet dein die Leiter;

Mein Klepper bringt dich weiter.« –

»Ach nein, du Herzens-Karl, ach nein!

Still, daß ich Nichts mehr höre!

Entränn' ich, ach! mit dir allein,

Dann wehe meiner Ehre!

Nur noch ein letzter Liebeskuß

Sei, Liebster, dein und mein Genuß,

Eh' ich im Todtenkleide

Auf ewig von dir scheide.« –

»Ha, Kind! Auf meine Rittertreu

Kannst du die Erde bauen.

Du kannst, beim Himmel! froh und frei

Mir Ehr' und Leib vertrauen.

Risch geht's nach meiner Mutter fort.

Das Sacrament vereint uns dort.

Komm, komm! Du bist geborgen.

Laß Gott und mich nur sorgen!« –

»Mein Vater!... Ach! ein Reichsbaron!...

So stolz von Ehrenstamme!...

Laß ab! Laß ab! Wie beb' ich schon

Vor seines Zornes Flamme!

Nicht rasten wird er Tag und Nacht,

Bis daß er nieder dich gemacht,

Das Herz dir ausgerissen

Und das mir vorgeschmissen.« –

»Ha, Kind! Sei nur erst sattelfest,

So ist mir nicht mehr bange. –

Dann steht uns offen Ost und West. –

O zaudre nicht zu lange!

Horch, Liebchen, horch! – Was rührte sich? –

Um Gottes willen! tummle dich!

Komm, komm! Die Nacht hat Ohren;

Sonst sind wir ganz verloren.« –

Das Fräulein zagte, – stand, – ich stand, –

Es graust' ihr durch die Glieder. –

Da griff er nach der Schwanenhand

Und zog sie flink hernieder.

Ach! Was ein Herzen, Mund und Brust,

Mit Rang und Drang, voll Angst und Lust,

Belauschten jetzt die Sterne

Aus hoher Himmelsferne! –

Er nahm sein Lieb mit einem Schwung

Und schwang's auf den Polacken.

Hui! saß er selber auf und schlung

Sein Heerhorn um den Nacken,

Der Ritter hinten, Trudchen vorn.

Den Dänen trieb des Ritters Sporn,

Die Peitsche den Polacken,

Und Hochburg blieb im Nacken. –

Ach! Leise hört die Mitternacht!

Kein Wörtchen ging verloren.

Im nächsten Bett war aufgewacht

Ein paar Verrätherohren.

Des Fräuleins Sittenmeisterin,

Voll Gier nach schnödem Geldgewinn,

Sprang hurtig auf, die Thaten

Dem Alten zu verrathen.

»Hallo! Hallo! Herr Reichsbaron! –

Hervor aus Bett und Kammer! –

Eu'r Fräulein Trudchen ist entflohn,

Entflohn zu Schand und Jammer!

Schon reitet Karl von Eichenhorst

Und jagt mit ihr durch Feld und Forst.

Geschwind! Ihr dürft nicht weilen,

Wollt ihr sie noch ereilen.«

Hui! auf der Freiherr, hui! heraus,

Bewehrte sich zum Streite

Und donnerte durch Hof und Haus

Und weckte seine Leute. –

»Heraus, mein Sohn von Pommerland!

Sitz auf! Nimm Lanz' und Schwert zur Hand!

Die Braut ist dir gestohlen;

Fort, fort! sie einzuholen!« –

Rasch ritt das Paar im Zwielicht schon,

Da horch! – ein dumpfes Rufen –

Und horch! – erscholl ein Donnerton

Von Hochburg's Pferdehufen;

Und wild kam Plump, den Zaum verhängt,

Weit, weit voran dahergesprengt

Und ließ zu Trudchens Grausen

Vorbei die Lanze sausen. –

»Halt an! halt an! du Ehrendieb,

Mit deiner losen Beute!

Herbei vor meinen Klingenhieb!

Dann raube wieder Bräute!

Halt an, verlaufne Buhlerin,

Daß neben deinen Schurken hin

Dich meine Rache strecke

Und Schimpf und Schand' euch decke!« –

»Das leugst du, Plump von Pommerland,

Bei Gott und Ritterehre!

Herab! Herab! daß Schwert und Hand

Dich andre Sitte lehre. –

Halt Trudchen, halt' den Dänen an! –

Herunter, Junker Grobian,

Herunter von der Mähre,

Daß ich dich Sitte lehre!« –

Ach! Trudchen, wie voll Angst und Noth!

Sah hoch die Säbel schwingen.

Hell funkelten im Morgenroth

Die Damascenerklingen.

Von Kling und Klang, von Ach und Krach

Ward rundumher das Echo wach;

Von ihrer Fersen Stampfen

Begann der Grund zu dampfen.

Wie Wetter schlug des Liebsten Schwert

Den Ungeschliffnen nieder.

Gerdtrudens Held blieb unversehrt,

Und Plump erstand nicht wieder. –

Nun weh, o weh! erbarm' es Gott!

Kam fürchterlich, Galop und Trott,

Als Karl kaum ausgestritten,

Der Nachtrab angeritten. –

Trarah! Trarah! durch Feld und Wald

Ließ Karl sein Horn nun schallen.

Sieh da! Hervor vom Hinterhalt,

Hop hop! sein Heer Vasallen. –

»Nun halt, Baron, und hör' ein Wort!

Schau auf! Erblickst du Jene dort?

Die sind zum Schlagen fertig

Und meines Winks gewärtig.

Halt an! Halt an! und hör' ein Wort,

Damit dich Nichts gereue!

Dein Kind gab längst mir Treu' und Wort,

Und ich ihm Wort und Treue.

Willst du zerreißen Herz und Herz?

Soll dich ihr Blut, soll dich ihr Schmerz

Vor Gott und Welt verklagen?

Wolan! so laß uns schlagen!

Noch halt! Bei Gott beschwör' ich dich!

Bevor's dein Herz gereuet.

In Ehr' und Züchten hab' ich mich

Dem Fräulein stets geweihet.

Gib... Vater!... gib mir Trudchen's Hand! –

Der Himmel gab mir Gold und Land.

Mein Ritterruhm und Adel,

Gottlob! trotzt jedem Tadel.«

Ach! Trudchen, wie voll Angst und Noth!

Verblüht' in Todesblässe.

Vor Zorn der Freiherr heiß und roth

Glich einer Feueresse. –

Und Trudchen warf sich auf den Grund;

Sie rang die schönen Hände wund

Und suchte baß mit Thränen

Den Eifrer zu versöhnen.

»O Vater, habt Barmherzigkeit

Mit Euerm armen Kinde!

Verzeih' Euch, wie Ihr uns verzeiht,

Der Himmel auch die Sünde!

Glaubt, bester Vater, diese Flucht,

Ich hätte nimmer sie versucht,

Wenn vor des Junkers Bette

Mich nicht geekelt hätte. –

Wie oft habt Ihr auf Knie und Hand

Gewiegt mich und getragen!

Wie oft: du Herzenskind! genannt,

Du Trost in alten Tagen!

O Vater, Vater! Denkt zurück!

Ermordet nicht mein ganzes Glück!

Ihr tödtet sonst daneben

Auch Eures Kindes Leben.« –

Der Freiherr warf sein Haupt herum

Und wies den krausen Nacken.

Der Freiherr rieb, wie taub und stumm,

Die dunkelrauhen Backen. –

Vor Wehmuth brach ihm Herz und Blick;

Doch schlang er stolz den Strom zurück,

Um nicht durch Vaterthränen

Den Rittersinn zu höhnen. –

Bald sanken Zorn und Ungestüm,

Das Vaterherz wuchs über;

Von hellen Zähren strömten ihm

Die stolzen Augen über. –

Er hob sein Kind vom Boden auf,

Er ließ der Herzensflut den Lauf

Und wollte schier vergehen

Vor wundersüßen Wehen. –

»Nun wol! Verzeih' mir Gott die Schuld,

So wie ich dir verzeihe!

Empfange meine Vaterhuld,

Empfange sie auf's Neue!

In Gottes Namen, sei es drum!« –

Hier wandt' er sich zum Ritter um –

»Da! Nimm sie meinetwegen

Und meinen ganzen Segen!

Mach's wieder gut! Mach's gut, mein Sohn,

An mir und meinem Kinde!

Auf daß ich meiner Güte Lohn

In deiner Güte finde.

So segne dann, der auf uns sieht,

Euch segne Gott von Glied zu Glied!

Auf! Wechselt Ring' und Hände!

Und hiermit Lied am Ende!«

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.