Gottfried Keller

Melancholie (Gottfried Keller)

Sei mir gegrüsst, Melancholie,

Die mit dem leisen Feenschritt

Im Garten meiner Phantasie

Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!

Die mir den Mut wie eine junge Weide

Tief an den Rand des Lebens biegt,

Doch dann in meinem bittern Leide

Voll Treue mir zur Seite liegt!

Die mir der Wahrheit Spiegelschild,

Den unbezwungnen, hält empor,

Dass der Erkenntnis Träne schwillt

Und bricht aus dunklem Aug' hervor;

Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer,

Wenn ich dich mehr und mehr vergass

Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,

Die doch an meiner Wiege sass !

Wie hängt mein Herz an eitler Lust

Und an der Torheit dieser Welt!

Oft mehr als eines Weibes Brust

Ist es von Aussenwerk umstellt,

Und selbst den Trost, dass ich aus eignem Streben,

Was leer und nichtig ist, erkannt,

Nimmst du und hast mein stolz Erheben

Zu Boden alsobald gewandt.

Noch fühl' ich dich so edel nicht,

Wie Albrecht Dürer dich geschaut:

Ein sinnend Weib, von innerm Licht

Erhellt, des Fleisses schönste Braut,

Umgeben reich von aller Werke Zeichen,

Mit milder Trauer angetan;

Sie sinnt - der Dämon muss entweichen

Vor des Vollbringens reifem Plan!