Gottfried Keller

Meergedanken (Gottfried Keller)

O wär' mein Herz das tiefe Meer

Und seine Feinde die Schiffe,

Wie schleudert' es sie hin und her

An seines Zornes Riffe!

Und endlich schläng' es unter sie,

Hinunter in die Tiefe,

Dass drüber glänzend spät und früh

Der Meeresfrieden schliefe.

So aber ist's ein Wellchen kaum,

Von tausend Wellen eine;

Doch nagt und wäscht ihr leichter Schaum

Am morschen Schiffsgebeine.

Wir Wellen ziehen treu vereint

Und eine folgt der andern;

Wir haben all' den gleichen Feind,

Nach dem wir spähn und wandern.

Die Geisternot, der Wirbelwind,

Der peitscht uns, bis wir schäumen,

Bis alle wach geschlagen sind

Aus ihren Wasserträumen.

Dann ruft's von allen Ufern her,

Als ständ' der Himmel offen:

Das Schiff der Lügner ist im Meer

Mit Mann und Maus ersoffen!