Gottfried Keller

Der Kirchenbesuch (Gottfried Keller)

Wie ein Fischlein in dem Garn

Hat der Dom mich eingefangen,

Und da bin ich festgebannt,

Warum bin ich drein gegangen?

Ach, wie unter breiten Malven

Taubesprengt ein Röslein blitzt,

Zwischen guten Bürgerfrauen

Hier mein feines Liebchen sitzt!

Die Gemeinde schnarcht so sanft,

Wie das Laub im Walde rauschet,

Und der Bettler an der Tür

Als ein Räuber guckt und lauschet;

Doch wie eines Bächleins Faden

Murmelnd durchs Gebüsche fliesst,

So die lange dünne Predigt

Um die Pfeiler sich ergiesst.

Eichenbäume, hoch und schlank,

All' die gotischen Pfeiler ragen;

Ein gewölbtes Blätterdach

Ihre krausen Äste tragen;

Untenher spielt hin und wieder

Dämmerhaft ein Sonnenschein;

Wachend sind in dieser Stille

Nur mein Lieb und ich allein.

Weit hinaus, ins Morgenland,

Komm, mein Kind, und lass uns fliegen,

Wo die Palmen schwanken am Meer

Und die sel'gen Inseln liegen,

Flutend um die grosse Sonne,

Grundlos tief die Himmel blaun:

Angesichts der freien Wogen

Unsre Seelen frei zu traun!