Georg Bötticher

An meine Stirnlocke (Georg Bötticher)

       

Wenn von Gedanken trüb umnachtet

Im Spiegel ich mein Haupt betrachtet,

Das ein verdächt'ger Schein verklärt –

Warst du es, die mich aufgerichtet.

So oft ich sinnend dich geschlichtet,

Hat mir dein Anblick Trost gewährt.

Ich sah auf deinen blonden Spitzen

Noch jenen Schein der Jugend blitzen,

Der stets mich innerlichst erwärmt.

Verknüpft konnt ich mit deinen Strähnen

Mich noch den holden Tagen wähnen,

Da ich gedichtet und geschwärmt.

Zwar schuf die Zeit dich licht und lichter –

Doch höher nur vor dem Vernichter

Hast du dich trotzig aufgebäumt.

Noch ließ sich, für den Blick vom Weiten,

Aus dir ein Schmuck der Stirn bereiten,

Wie ihn der Kahlkopf sehnend träumt.

Wie lange hast du standgehalten,

Geliebte Locke, den Gewalten

des Schicksals, das nicht Schonung kennt!

Noch ragst du – rings umgähnt von Leere –

Der letzte Damm, der mich vom Meere

Der fürchterlichen Glatze trennt.

Ein Tag wird kommen – und die Welle

Des Glanzlichts flutet an der Stelle,

Wo du gestanden, ungehemmt!

Stirb denn, nach tapfrer Wehr bezwungen,

Doch sei voll Dankes noch besungen,

Eh dich der Zeitstrom fortgeschwemmt.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-910148-30-1
Erschienen im Buch "Alfanzereien und Allotria"
Herausgeber: Sachsenbuch Verlagsgesellschaft