Friedrich Gottlieb Klopstock

Dem Allgegenwärtigen (Friedrich Gottlieb Klopstock)

(1758)

                   

     

Da du mit dem Tode gerungen, mit dem Tode,

Heftiger du gebetet hattest,

Da dein Schweiß und dein Blut

Auf die Erde geronnen war;

In dieser ernsten Stunde

Thatest du jene große Wahrheit kund,

Die Wahrheit seyn wird

So lang die Hülle der ewigen Seele Staub ist.

Du standest, und sprachst

Zu den Schlafenden:

Willig ist eure Seele,

Aber das Fleisch ist schwach!

Dieser Endlichkeit Loos, die Schwere der Erde

Fühlet auch meine Seele,

Wenn sie zu Gott, zu dem Unendlichen

Sich erheben will.

Anbetend, Vater, sink' ich in den Staub, und fleh,

Vernim mein Flehn, die Stimme des Endlichen,

Gieb meiner Seel' ihr wahres Leben,

Daß sie zu dir sich, zu dir erhebe!

Allgegenwärtig, Vater,

Schließest du mich ein!

Steh hier, Betrachtung, still, und forsche

Diesem Gedanken der Wonne nach.

Was wird das Anschaun seyn, wenn der Gedank' an dich,

Allgegenwärtiger! schon Kräfte jener Welt hat!

Was wird es seyn dein Anschaun,

Unendlicher! o du Unendlicher!

Das sah kein Auge, das hörte kein Ohr,

Das kam in keines Herz, wie sehr es auch rang,

Wie es auch nach Gott, nach Gott,

Nach dem Unendlichen dürstete;

Kam es doch in keines Menschen Herz,

Nicht in das Herz deß, welcher Sünder

Und Erd', und bald ein Todter ist,

Was denen Gott, die ihn lieben, bereitet hat.

Wenige nur, ach wenige sind,

Deren Aug' in der Schöpfung

Den Schöpfer sieht! wenige, deren Ohr

Ihn in dem mächtigen Rauschen des Sturmwinds hört,

Im Donner, der rollt, oder im lispelnden Bache,

Unerschafner! dich vernimt,

Weniger Herzen erfüllt, mit Ehrfurcht und Schauer,

Gottes Allgegenwart!

Laß mich im Heiligthume

Dich, Allgegenwärtiger,

Stets suchen, und finden! und ist

Er mir entflohn, dieser Gedanke der Ewigkeit;

Laß mich ihn tiefanbetend

Von den Chören der Seraphim,

Ihn, mit lauten Thränen der Freude,

Herunter rufen!

Damit ich, dich zu schaun,

Mich bereite, mich weihe,

Dich zu schaun

In dem Allerheiligsten!

Ich hebe mein Aug' auf, und seh,

Und siehe der Herr ist überall!

Erd', aus deren Staube

Der erste der Menschen geschaffen ward;

Auf der ich mein erstes Leben lebe,

In der ich verwesen werde,

Und auferstehen aus der!

Gott würdigt auch dich, dir gegenwärtig zu seyn.

Mit heiligem Schauer,

Brech' ich die Blum' ab;

Gott machte sie,

Gott ist, wo die Blum' ist.

Mit heiligem Schauer, fühl' ich der Lüfte Wehn,

Hör' ich ihr Rauschen! es hieß sie wehn und rauschen

Der Ewige! Der Ewige

Ist, wo sie säuseln, und wo der Donnersturm die Ceder stürzt.

Freue dich deines Todes, o Leib!

Wo du verwesen wirst,

Wird Er seyn,

Der Ewige!

Freue dich deines Todes, o Leib! in den Tiefen der Schöpfung,

In den Höhn der Schöpfung, wird deine Trümmer verwehn!

Auch dort, verwester, verstäubter, wird Er seyn,

Der Ewige!

Die Höhen werden sich bücken!

Die Tiefen sich bücken,

Wenn der Allgegenwärtige nun

Wieder aus Staub' Unsterbliche schaft.

Werfet die Palmen, Vollendete! nieder, und die Kronen!

Halleluja dem Schaffenden,

Dem Tödtenden Halleluja!

Halleluja dem Schaffenden!

Ich hebe mein Aug' auf, und seh,

Und siehe der Herr ist überall!

Sonnen, euch, und o Erden, euch Monde der Erden,

Erfüllet, rings um mich, des Unendlichen Gegenwart!

Nacht der Welten, wie wir in dem dunkeln Worte schaun

Den, der ewig ist!

So schaun wir in dir, geheimnisvolle Nacht,

Den, der ewig ist!

Hier steh ich Erde! was ist mein Leib,

Gegen diese selbst den Engeln unzählbare Welten,

Was sind diese selbst den Engeln unzählbare Welten,

Gegen meine Seele!

Ihr, der unsterblichen, ihr, der erlösten

Bist du näher, als den Welten!

Denn sie denken, sie fühlen

Deine Gegenwart nicht.

Mit stillem Ernste dank' ich dir,

Wenn ich sie denke!

Mit Freudenthränen, mit namloser Wonne,

Dank' ich, o Vater! dir, wenn ich sie fühle!

Augenblicke deiner Erbarmungen,

O Vater, sinds, wenn du das himmelvolle Gefühl

Deiner Allgegenwart

Mir in die Seele strömst.

Ein solcher Augenblick,

Allgegenwärtiger,

Ist ein Jahrhundert

Voll Seligkeit!

Meine Seele dürstet!

Wie nach der Auferstehung verdorrtes Gebein,

So dürstet meine Seele

Nach diesen Augenblicken deiner Erbarmungen!

Ich liege vor dir auf meinem Angesicht;

O läg' ich, Vater, noch tiefer vor dir,

Gebückt in dem Staube

Der untersten der Welten!

Du denkst, du empfindest,

O du, die seyn wird,

Die höher denken,

Die seliger wird empfinden!

O die du anschaun wirst!

Durch wen, o meine Seele?

Durch den, unsterbliche,

Der war! und der ist! und der seyn wird!

Du, den Worte nicht nennen,

Deine noch ungeschaute Gegenwart

Erleucht', und erhebe jeden meiner Gedanken!

Leit ihn, Unerschafner, zu dir!

Deiner Gottheit Gegenwart

Entflamm', und beflügle

Jede meiner Empfindungen!

Leite sie, Unerschafner, zu dir!

Wer bin ich, o Erster!

Und wer bist du!

Stärke, kräftige, gründe mich,

Daß ich auf ewig dein sey!

Ohn' ihn, der mich gelehrt, sich geopfert hat

Für mich, könt' ich nicht dein seyn!

Ohn' ihn wär der Gedanke deiner Gegenwart

Grauen mir vor dem allmächtigen Unbekanten!

Erd' und Himmel vergehn;

Deine Verheißungen, Göttlicher, nicht!

Von dem ersten Gefallenen an

Bis zu dem letzten Erlösten,

In die Wunden deiner Hände legt' ich meine Finger nicht;

In die Wunde deiner Seite

Legt' ich meine Hand nicht;

Aber du bist mein Herr, und mein Gott!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-001391-7
Erschienen im Buch "Oden"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.