Friedrich Schiller

An einen Moralisten (Friedrich Schiller)

                 

Was zürnst du unsrer frohen Jugendweise

    Und lehrst, daß Lieben Tändeln sei?

Du starrest in des Winters Eise

    Und schmählest auf den goldnen Mai.

Einst, als du noch das Nymphenvolk bekriegtest,

    Ein Held des Carnevals, den deutschen Wirbel flogst,

Ein Himmelreich in beiden Armen wiegtest

    Und Nektarduft von Mädchenlippen sogst,

Ha, Seladon! wenn damals aus den Achsen

    Gewichen wär' der Erde schwerer Ball -

Im Liebesknäul mit Julien verwachsen,

    Du hättest überhört den Fall!

O, denk' zurück nach deinen Rosentagen

    Und lerne: die Philosophie

Schlägt um, wie unsre Pulse anders schlagen;

    Zu Göttern schaffst du Menschen nie.

Zwingt doch der irdische Gefährte

    Den gottgebornen Geist in Kerkermauern ein,

Er wehrt mir, daß ich Engel werde:

    Ich will ihm folgen, Mensch zu sein.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Schillers Sämmtliche Werke, Erster Band"
Herausgeber: J. G. Cotta'sche Buchhandlung