Eduard Mörike

Haeusliche Szene (Eduard Mörike)

[Schlafzimmer. Praezeptor Ziborius und seine junge Frau. Das

Licht ist geloescht.]

Schlaefst du schon, Rike? - "Noch nicht." - Sag! hast du denn heut die Kukumern

Eingemacht? - "Ja." - Und wieviel nahmst du mir Essig dazu? -

"Nicht zwei voellige Mass." - Wie? fast zwei Mass? Und von welchem

Krug? von dem kleinern doch nicht, links vor dem Fenster am Hof?

"Freilich." - Verwuenscht! So darf ich die Probe nun noch einmal machen,

Eben indem ich gehofft schon das Ergebnis zu sehn!

Konntest du mich nicht fragen? - "Du warst in der Schule." - Nicht warten? -

"Lieber, zu lange bereits lagen die Gurken mir da."

Unlaengst sagt ich dir: Nimm von Numero 7 zum Hausbrauch -

"Ach wer behielte denn stets alle die Zahlen im Kopf!" -

Sieben behaelt sich doch wohl! nichts leichter behalten als sieben!

Gross, mit arabischer Schrift, haelt es der Zettel dir vor. -

"Aber du wechselst den Ort nach der Sonne von Fenster zu Fenster

Taeglich, die Kueche pressiert oft und ich suche mich blind.

Bester, dein Essiggebraeu, fast will es mich endlich verdriessen.

Ruhig, obgleich mit Not, trug ich so manches bis jetzt.

Dass du im Waschhaus dich einrichtetest, wo es an Raum fehlt,

Destillierest und brennst, schien mir das Aeusserste schon.

Nicht gern sah ich vom Stockbrett erst durch Kolben und Kruege

Meine Reseden verdraengt, Rosen und Sommerlevkoin,

Aber nun stehen ums Haus her rings vor jeglichem Fenster,

Halb gekleidet in Stroh, glaeserne Baeuche gereiht;

Mir auf dem Herd stehn viere zum Hindernis, selber im Rauchfang

Haengt so ein Untier jetzt, wieder ein neuer Versuch!

Laecherlich machen wir uns - nimm mirs nicht uebel!" - Was sagst du?

Laecherlich? - "Haettest du nur heut die Dekanin gehoert.

Und in jeglichem Wort ihn selber vernahm ich, den Spoetter;

Boshaft ist er, dazu Schwager zum Paedagogarch." -

Nun? - "Einer Festung verglich sie das Haus des Praezeptors, ein Bollwerk

Hiess mein Erker, es sei alles gespickt mit Geschuetz!" -

Schnoedes Gerede, der lautere Neid! Ich hoffe mein Stecken-

Pferd zu behaupten, so gut als ihr Gemahl, der Dekan.

Freuts ihn Kanarienvoegel und Einwerfkaefige dutzend-

Weise zu haben, mich freuts, tuechtigen Essig zu ziehn. -

[Pause. Er scheint nachdenklich. Sie spricht fuer sich:]

"Wahrlich, er dauert mich schon; ihn aengstet ein wenig die Drohung

Mit dem Studienrat, dem er schon lange nicht traut." -

[Er faehrt fort:]

Als Praezeptor tat ich von je meine Pflicht; ein geschaetzter

Gradus neuerlich gibt einiges Zeugnis davon.

Was ich auf materiellem Gebiet, in muessigen Stunden,

Manchem Gewerbe, dem Staat denke zu leisten dereinst,

Ob ich meiner Familie nicht ansehnlichen Vorteil

Sichere noch mit der Zeit, dessen geschweig ich vorerst:

Aber - _den_ will ich sehn, der einem geschundenen Schulmann

Ein Vergnuegen wie das, Essig zu machen, verbeut!

Der von Allotrien spricht, von Laecherlichkeiten - er sei nun

Oberinspektor, er sei Rektor und Paedagogarch!

Greife nur einer mich an, ich will ihm dienen! Gewappnet

Findet ihr mich! Dreifach liegt mir das Erz um die Brust!

- Rike, du lachst! ... du verbirgst es umsonst! ich fuehle die Stoesse ...

Nun, was wandelt dich an? Naerrst du mich, toerichtes Weib? -

"Lieber, naerrischer, goldener Mann! wer bliebe hier ernsthaft?

Nein, dies Feuer haett ich nimmer im Essig gesucht!" -

Gnug mit den Possen! Ich sage dir, mir ist die Sache nicht spasshaft. -

"Ruhig! Unseren Streit, Alter, vergleichen wir schon.

Gar nicht faellt es mir ein, dir die einzige Freude zu rauben;

Zuviel haenget daran, und ich verstehe dich ganz.

Siehst du von deinem Katheder im Schulhaus so durch das Fenster

Ueber das Hoefchen den Schatz deiner Gefaesse dir an,

Alle vom Mittagsstrahl der herrlichen Sonne beschienen,

Die dir den gaerenden Wein heimlich zu zeitigen glueht,

Nun, es erquicket dir Herz und Aug in sparsamen Pausen,

Wie das bunteste Brett meiner Levkoin es nicht tat;

Und ein Pfeifchen Tabak in diesem gemuetlichen Anblick

Nimmt dir des Amtes Verdruss reiner als alles hinweg;

Ja, seitdem du schon selbst mit eigenem Essig die rote

Tinte dir kochst, die sonst manchen Dreibaetzner verschlang,

Ist dir, mein ich, der Wust der Exerzitienhefte

Minder verhasst; dich labt still der bekannte Geruch.

Dies, wie missgoennt' ich es dir? Nur gehst du ein bisschen ins Weite.

Alles - so heisst dein Spruch - habe sein Mass und sein Ziel." -

Lass mich! Wenn mein Produkt dich einst zur vermoeglichen Frau macht -

"Bester, das sagtest du just auch bei der Seidenkultur." -

Kann ich dafuer, dass das Futter missriet, dass die Tiere krepierten? -

"Seine Gefahr hat auch sicher das neue Geschaeft." -

Namen und Ehre des Manns, die bringst du wohl gar nicht in Anschlag? -

"Ehre genug blieb uns, ehe wir Essig gebraut." -

Korrespondierendes Mitglied heiss ich dreier Vereine. -

"Naehme nur _einer_ im Jahr etliche Kruege dir ab!" -

Dir fehlt jeder Begriff von rationellem Bestreben. -

"Seit du ihn hast, fehlt dir abends ein guter Salat." -

Undank! mein Fabrikat durch saemtliche Sorten ist trefflich. -

"Numero 7 und 9 kenn ich, und - lobe sie nicht." -

Heut, wie ich merke, gefaellst du dir sehr, mir in Versen zu trumpfen. -

"Waren es Verse denn nicht, was du gesprochen bisher?" -

Eine Schwaeche des Mannes vom Fach, darfst du sie missbrauchen? -

"Unwillkuerlich, wie du, red ich elegisches Mass." -

Muehsam uebt ich dirs ein, harmlose Gespraeche zu wuerzen. -

"Freilich im bitteren Ernst nimmt es sich wunderlich aus." -

Also verbitt ich es jetzt; sprich, wie dir der Schnabel gewachsen. -

"Gut; lass sehen, wie sich Prose mit Distichen mischt." -

Unsinn! Brechen wir ab. Mit Weibern sich streiten ist fruchtlos. -

"Fruchtlos nenn ich, im Schlot Essig bereiten, mein Schatz." -

Dass noch zum Schlusse mir dein Pentameter tritt auf die Ferse! -

"Dein Hexameter zieht unwiderstehlich ihn nach." -

Ei, dir scheint es bequem, nur das Wort noch, das letzte zu haben -

Habs! Ich schwoere, von mir hast du das letzte gehoert. -

"Meinetwegen; so mag ein Hexameter einmal allein stehn." -

[Pause. Der Mann wird unruhig, es peinigt ihn offenbar, das Distichon

nicht geschlossen zu hoeren oder es nicht selber schliessen zu duerfen.

Nach einiger Zeit kommt ihm die Frau mit Lachen zu Huelfe und sagt:

"Alter! ich tat dir zu viel; wirklich, dein Essig passiert;

Wenn er dir kuenftig noch besser geraet, wohlan, so ist einzig

Dein das Verdienst, denn du hast, wahrlich, kein zaenkisches Weib!" -

Rike! morgenden Tags raeum ich dir die vorderen Fenster

Saemtlich! und im Kamin prangen die Schinken allein!