Detlev von Liliencron

Vergiß die Mühle nicht (Detlev von Liliencron)

         

Der Blick aus unserm Fenster

war eine Wüste nur.

Kein grünes Saatfeld zeigte

des Lebens frohe Spur.

Kein Haus, kein Baum war sichtbar,

kein Berg im blauen Duft,

und keine Blumen mischten

sich mit der Himmelsluft.

Am End der öden Strecke,

weit über Schutt und Sand,

steht eine kleine Mühle,

fern, fern am Erdenrand.

Der Flügel kreist geduldig,

er kreist wohl immerzu;

des Windes schneller Atem

läßt selten ihn in Ruh'

Mein Weib und ich, wir haben

am Fenster oft gelehnt,

wenn Hand in Hand wir saßen,

und wenn wir uns ersehnt.

Im Frühlicht, vor der Arbeit,

lag noch der Tag in Tau,

wir hielten nach der Mühle

vereint die erste Schau.

Am Abend, eh' der Schlummer

von neuem uns erquickt,

wir haben nach der Mühle

die letzte Sicht geschickt.

Und immer so die Mühle,

es gab nicht liebern Ort,

es kam wie Trost und Grüße,

wir Gruß und Trost von dort.

In einer Winterwoche

war schwer mein Weib erkrankt,

die schwarze Gräberblume

hat sich emporgerankt.

Die treuen Augen suchten

mühsam im Dämmerlicht,

und ihre Lippen hauchten:

»Vergiß die Mühle nicht.«

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Vom goldnen Überfluss"
Herausgeber: R. Voigtländers Verlag