Detlev von Liliencron

An Otto Julius Bierbaum (Detlev von Liliencron)

             

Otto Julius, frischester Dragonerlieutenant,

Mit den roten Backen, mit dem weichen Schnurrbart,

Mit der mächtigen Dichterstirn, mit großen, klugen

Augen, die, ob mit Pincenez, ob ohne Klemmer,

Wunderbaren Wechsel zeigen immerwährend,

Einst, erinnerst du dich dessen, saßen oft wir

Bis zum Hahnenruf im Münchner Rathauskeller.

Und wir tranken Ale und Porter, Ale und Porter

Zu der Küche Meisterwerken, Beef und Fischen.

Kniffst du nicht der Kellnerin, der hübschen Betti,

Bettin aus dem Ursulinerinnenkloster,

Gern, doch sanft, doch sanfter stärker drückend,

In die weißen Arme, daß sie leise Au schrie?

Für vorzügliche Zigarren, feinster Kenner,

Sorgtest du, das soll dir nicht vergessen werden.

Jene herzvertrauten Offenbarungs-Nächte,

Die wir miteinander trinkend, plaudernd, lachend,

Rauchend saßen unten am Gedecke Bettis,

Diese sind mir eben wieder eingefallen,

Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,

Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,

Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,

Die mir säuerlich und muff verraten würde,

Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdeengel,

Tochter Seiner Exzellenz, des Herrn Philisters.

Wenn erlauscht die guten Deutschen damals hätten,

Was wir sprachen, ausgelassen uns erzählten,

Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt:

So der Liebe Rätsel lachend zu entziffern,

So die Welt uns lachend um den Kopf zu schlagen.

Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt.

Und die Kritiker, es würden diese freilich,

Wenn sie die Epistel an dich lesen möchten,

Erst im Sechstrochäus fehlersuchend wühlen,

Aber dann, o Himmel, welche Lehrerschelte

Müßten wir erleben: »Unmoralisch! Scheußlich!

Seht die beiden als der tiefsten Hölle Diener.«

Wenn wir gegenseitig unsere Liebeshändel

Uns zum besten gaben: Du mir die Geschichte

Deines schlanken, dunkeläugigen Waschermadls,

Das zu dir sich heimlich nachts ins Fenster drängte,

Das dich so beglückt mit ihren sechszehn Jahren;

Wie sie, trennungstraurig habest du geholfen,

Heimlich in der Frühe wieder sich entfernte

Auf dem gleichen Weg; wie du dem muntren Kerlchen

Nachgeschaut; wie rote kleine Morgenwolken

Himmelsheilig ihr die Kinderstirn beglänzten,

Ihr, die durch den Tau, am Wassersturz der Isar,

Schnellen, scheuen, leichten Schrittes sei entschwunden.

Hieß Jeanette nicht dein reizend Waschermadl?

Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte

- Denk an das »Gerümpfe« edler Wackernasen:

»Waschermadel, Schneidermadel: Die Bekanntschaft« -

Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte,

Die, nicht anders ging's derweil, mir immer wieder

Stoffe brachte, Röcke, Hosen, Westen holte.

War nichts mehr zum Flicken vorrätig im Schranke,

Trennten Nähte wir, zerrissen Unterfutter.

Die mich mit den sechszehn Jahren hurtig küßte,

Küßte, bis die wenigen Minuten schwanden.

Später ward es besser, durch des Mädchens Schlauheit,

Eine Stunde blieb sie, stundenlang und länger,

Bis die erste heiße Liebesnacht herankam.

Wie sie nun am andern Morgen ängstlich fortschlich,

Warf sie ungeschickt vom Teller ihrer Rechten,

Ihre Finger spreizend, mir ihr letztes Grüßen:

Rührend war es mir, wie dir, dem ich's vertraute.

Saugend war ihr Kuß, ein wenig unanmutig,

Ganz, als söge noch sie an der Mutter Brüsten;

Doch Natur, Natur, jungwilde Ungezähmtheit.

Alles ist mir eben wieder eingefallen,

Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,

Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,

Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,

Die mir säuerlich und muff verraten würde,

Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdeengel,

Tochter Seiner Exzellenz, des Herrn Philisters.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.