August von Platen

Venedig (August von Platen)

(1824)

Dem deutschen Freunde, den die Sterne lenken

    Zu dieser Inselstadt vom Meer beschäumet,

    Sei dieses kleine Buch ein Angedenken,

    Wann er am Ufer der Lagune säumet,

    Wann Lieb' und Kunst ihm schöne Stunden schenken,

    Wann er, gestreckt in einer Gondel, träumet;

    Und legt er's weg, so mag er leise sagen:

    Hier hat vor mir ein fühlend Herz geschlagen!

 

               

Mein Auge ließ das hohe Meer zurücke,

Als aus der Flut Palladios Tempel stiegen,

An deren Staffeln sich die Wellen schmiegen,

Die uns getragen ohne Falsch und Tücke.

Wir landen an, wir danken es dem Glücke,

Und die Lagune scheint zurück zu fliegen,

Der Dogen alte Säulengänge liegen

Vor uns gigantisch mit der Seufzerbrücke.

Venedigs Löwen, sonst Venedigs Wonne,

Mit eh'rnen Flügeln sehen wir ihn ragen

Auf seiner kolossalischen Kolonne.

Ich steig ans Land, nicht ohne Furcht und Zagen,

Da glänzt der Markusplatz im Licht der Sonne:

Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen?

 

 

Dies Labyrinth von Brücken und von Gassen,

Die tausendfach sich ineinanderschlingen,

Wie wird hindurchzugehn mir je gelingen?

Wie werd ich je dies große Rätsel fassen?

Ersteigend erst des Markusturms Terrassen,

Vermag ich vorwärts mit dem Blick zu dringen,

Und aus den Wundern, welche mich umringen,

Entsteht ein Bild, es teilen sich die Massen.

Ich grüße dort den Ozean, den blauen,

Und hier die Alpen, die im weiten Bogen

Auf die Laguneninseln niederschauen.

Und sieh! da kam ein mut'ges Volk gezogen,

Paläste sich und Tempel sich zu bauen

Auf Eichenpfähle mitten in die Wogen.

 

 

Wie lieblich ist's, wenn sich der Tag verkühlet,

Hinauszusehn, wo Schiff und Gondel schweben,

Wenn die Lagune, ruhig, spiegeleben,

In sich verfließt, Venedig sanft umspühlet!

Ins Innre wieder dann gezogen fühlet

Das Auge sich, wo nach den Wolken streben

Palast und Kirche, wo ein lautes Leben

Auf allen Stufen des Rialto wühlet.

Ein frohes Völkchen lieber Müßiggänger,

Es schwärmt umher, es läßt durch nichts sich stören,

Und stört auch niemals einen Grillenfänger.

Des Abends sammelt sich's zu ganzen Chören,

Denn auf dem Markusplatze will's den Sänger

Und den Erzähler auf der Riva hören.

 

 

Nun hab ich diesen Taumel überwunden,

Und irre nicht mehr hier und dort ins Weite,

Mein Geist gewann ein sicheres Geleite,

Seitdem er endlich einen Freund gefunden.

Dir nun, o Freund, gehören meine Stunden,

Du gabst ein Ziel mir nun, wonach ich schreite,

Nach dieser eil ich oder jener Seite,

Wo ich, dich anzutreffen, kann erkunden.

Du winkst mir zu von manchem Weihaltare,

Dein Geist ist ein harmonisches Bestreben,

Und deine sanfte Seele liebt das Wahre.

O welch ein Glück, sich ganz dir hinzugeben,

Und, wenn es möglich wäre, Jahr' um Jahre

Mit deinen Engeln, Gian Bellin, zu leben!

 

 

Venedig liegt nur noch im Land der Träume

Und wirft nur Schatten her aus alten Tagen,

Es liegt der Leu der Republik erschlagen,

Und öde feiern seines Kerkers Räume.

Die eh'rnen Hengste, die durch salz'ge Schäume

Dahergeschleppt, auf jener Kirche ragen,

Nicht mehr dieselben sind sie, ach! sie tragen

Des korsikan'schen Überwinders Zäume.

Wo ist das Volk von Königen geblieben,

Das diese Marmorhäuser durfte bauen,

Die nun verfallen und gemach zerstieben?

Nur selten finden auf des Enkels Brauen

Der Ahnen große Züge sich geschrieben,

An Dogengräbern in den Stein gehauen.

 

 

Erst hab ich weniger auf dich geachtet,

O Tizian, du Mann voll Kraft und Leben!

Jetzt siehst du mich vor deiner Größe beben,

Seit ich Mariä Himmelfahrt betrachtet!

Von Wolken war mein trüber Sinn umnachtet,

Wie deiner Heil'gen sie zu Füßen schweben:

Nun seh ich selbst dich gegen Himmel streben,

Wonach so brünstiglich Maria trachtet!

Dir fast zur Seite zeigt sich Pordenone:

Ihr wolltet lebend nicht einander weichen,

Im Tode hat nun jeder seine Krone!

Verbrüdert mögt ihr noch die Hände reichen

Dem treuen, vaterländischen Giorgione,

Und jenem Paul, dem wen'ge Maler gleichen!

 

 

Der Canalazzo trägt auf breitem Rücken

Die lange Gondel mit dem fremden Gaste,

Den vor Grimanis, Pesaros Palaste

Die Kraft, das Ebenmaß, der Prunk entzücken.

Doch mehr noch muß er sich den Meisterstücken

Der frühern Kunst, die nie ein Spott betaste,

Euch muß er sich und eurem alten Glaste,

Pisani, Vendramin, Ca Doro bücken.

Die got'schen Bogen, die sich reich verweben,

Sind von Rosetten überblüht, gehalten

Durch Marmorschäfte, vom Balkon umgeben:

Welch eine reine Fülle von Gestalten,

Wo, triefend an des Augenblickes Leben,

Tiefsinn und Schönheit im Vereine walten!

 

 

Es scheint ein langes, ew'ges Ach zu wohnen

In diesen Lüften, die sich leise regen,

Aus jenen Hallen weht es mir entgegen,

Wo Scherz und Jubel sonst gepflegt zu thronen.

Venedig fiel, wiewohl's getrotzt 'Äonen,

Das Rad des Glücks kann nichts zurückbewegen:

Öd ist der Hafen, wen'ge Schiffe legen

Sich an die schöne Riva der Sklavonen.

Wie hast du sonst, Venetia, geprahlet

Als stolzes Weib mit goldenen Gewändern,

So wie dich Paolo Veronese malet!

Nun steht ein Dichter an den Prachtgeländern

Der Riesentreppe staunend und bezahlet

Den Tränenzoll, der nichts vermag zu ändern!

 

 

Ich fühle Woch' an Woche mir verstreichen,

Und kann mich nicht von dir, Venedig, trennen:

Hör ich Fusina, hör ich Mestre nennen,

So scheint ein Frost mir durch die Brust zu schleichen.

Stets mehr empfind ich dich als ohne Gleichen,

Seit mir's gelingt, dich mehr und mehr zu kennen:

Im tiefsten fühl ich meine Seele brennen,

Die Großes sieht und Großes will erreichen.

Welch eine Fülle wohnt von Kraft und Milde

Sogar im Marmor hier, im spröden, kalten,

Und in so manchem tiefgefühlten Bilde!

Doch um noch mehr zu fesseln mich, zu halten,

So mischt sich unter jene Kunstgebilde

Die schönste Blüte lebender Gestalten.

 

 

Hier wuchs die Kunst wie eine Tulipane,

Mit ihrer Farbenpracht dem Meer entstiegen,

Hier scheint auf bunten Wolken sie zu fliegen,

Gleich einer zauberischen Fee Morgane.

Wie seid ihr groß, ihr hohen Tiziane,

Wie zart Bellin, dal Piombo wie gediegen,

Und o wie lernt sich ird'scher Schmerz besiegen

Vor Paolos heiligem Sebastiane!

Doch was auch Farb' und Pinsel hier vollbrachte,

Der Meißel ist nicht ungebraucht geblieben,

Und manchen Stein durchdringt das Schöngedachte:

Ja, wen es je nach San Giulian getrieben,

Damit er dort des Heilands Schlaf betrachte,

Der muß den göttlichen Campagna lieben!

 

 

Ihr Maler führt mich in das ew'ge Leben,

Denn euch zu missen könnt' ich nicht ertragen,

Noch dem Genuß auf ew'ge Zeit entsagen,

Nach eurer Herrlichkeit emporzustreben!

Um Gottes eigne Glorie zu schweben

Vermag die Kunst allein und darf es wagen,

Und wessen Herz Vollendetem geschlagen,

Dem hat der Himmel weiter nichts zu geben!

Wer wollte nicht den Glauben aller Zeiten,

Durch alle Länder, alle Kirchensprengel

Des Schönen Evangelium verbreiten:

Wenn Palmas Heil'ge mit dem Palmenstengel*

Und Paolos Alexander ihn begleiten,

Und Tizians Tobias mit dem Engel?

 

 

Zur Wüste fliehend vor dem Menschenschwarme,

Steht hier Johannes, um zu reinern Sphären

Durch Einsamkeit die Seele zu verklären,

Die hohe, großgestimmte, gotteswarme.

Voll von Begeisterung, von heil'gem Harme

Erglänzt sein ew'ger, ernster Blick von Zähren,

Nach jenem, den Maria soll gebären,

Scheint er zu deuten mit erhobnem Arme.

Wer kann sich weg von diesem Bilde kehren,

Und möchte nicht, mit brünstigen Gebärden,

Den Gott im Busen Tizians verehren?

O goldne Zeit, die nicht mehr ist im Werden,

Als noch die Kunst vermocht die Welt zu lehren,

Und nur das Schöne heilig war auf Erden!

 

 

Hier seht ihr freilich keine grünen Auen,

Und könnt euch nicht im Duft der Rose baden;

Doch was ihr saht an blumigern Gestaden,

Vergeßt ihr hier und wünscht es kaum zu schauen.

Die stern'ge Nacht beginnt gemach zu tauen,

Um auf den Markus alles einzuladen:

Da sitzen unter herrlichen Arkaden,

In langen Reih'n, Venedigs schönste Frauen.

Doch auf des Platzes Mitte treibt geschwinde,

Wie Canaletto das versucht zu malen,

Sich Schar an Schar, Musik verhallt gelinde.

Indessen wehn, auf eh'rnen Piedestalen,

Die Flaggen dreier Monarchien im Winde,

Die von Venedigs altem Ruhme strahlen.

 

 

Weil da, wo Schönheit waltet, Liebe waltet,

So dürfte keiner sich verwundert zeigen,

Wenn ich nicht ganz vermöchte zu verschweigen,

Wie deine Liebe mir die Seele spaltet.

Ich weiß, daß nie mir dies Gefühl veraltet,

Denn mit Venedig wird sich's eng verzweigen:

Stets wird ein Seufzer meiner Brust entsteigen

Nach einem Lenz, der sich nur halb entfaltet.

Wie soll der Fremdling eine Gunst dir danken,

Selbst wenn dein Herz ihn zu beglücken dächte,

Begegnend ihm in zärtlichen Gedanken?

Kein Mittel gibt's, das mich dir näher brächte,

Und einsam siehst du meine Tritte wanken

Den Markus auf und nieder alle Nächte.

 

 

Ich liebe dich, wie jener Formen eine,

Die hier in Bildern uns Venedig zeiget:

Wie sehr das Herz sich auch nach ihnen neiget,

Wir ziehn davon, und wir besitzen keine.

Wohl bist du gleich dem schöngeformten Steine,

Der aber nie dem Piedestal entsteiget,

Der selbst Pygmalions Begierden schweiget,

Doch sei's darum, ich bleibe stets der Deine.

Dich aber hat Venedig auferzogen,

Du bleibst zurück in diesem Himmelreiche,

Von allen Engeln Gian Bellins umflogen:

Ich fühle mich, indem ich weiterschleiche,

Um eine Welt von Herrlichkeit betrogen,

Die ich den Träumen einer Nacht vergleiche.

 

 

Was läßt im Leben sich zuletzt gewinnen?

Was sichern wir von seinen Schätzen allen?

Das goldne Glück, das süße Wohlgefallen,

Sie eilen - treu ist nur der Schmerz - von hinnen.

Eh' mir ins Nichts die letzten Stunden rinnen,

Will noch einmal ich auf und nieder wallen,

Venedigs Meer, Venedigs Marmorhallen

Beschaun mit sehnsuchtsvoll erstaunten Sinnen.

Das Auge schweift mit emsigem Bestreben,

Als ob zurück in seinem Spiegel bliebe,

Was länger nicht vor ihm vermag zu schweben:

Zuletzt, entziehend sich dem letzten Triebe,

Fällt ach! zum letztenmal im kurzen Leben,

Auf jenes Angesicht ein Blick der Liebe.

 

 

Wenn tiefe Schwermut meine Seele wieget,

Mag's um die Buden am Rialto flittern:

Um nicht den Geist im Tande zu zersplittern,

Such ich die Stille, die den Tag besieget.

Dann blick ich oft, an Brücken angeschmieget,

In öde Wellen, die nur leise zittern,

Wo über Mauern, welche halb verwittern,

Ein wilder Lorbeerbusch die Zweige bieget.

Und wann ich, stehend auf versteinten Pfählen,

Den Blick hinaus ins dunkle Meer verliere,

Dem fürder keine Dogen sich vermählen:

Dann stört mich kaum im schweigenden Reviere,

Herschallend aus entlegenen Kanälen,

Von Zeit zu Zeit ein Ruf der Gondoliere.**

** Die Gondoliere in Venedig bedienen sich, wenn sie um die Ecke biegen, eines

herkömmlichen Rufes, um das Aneinanderstoßen zweier Gondeln zu verhindern.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-000291-5
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.