Annette von Droste-Hülshoff

Die junge Mutter (Annette von Droste-Hülshoff)

Im grün verhangnen duftigen Gemach,

auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;

wie brennt die Stirn! sie hebt das Auge schwach

zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter

den nackten Jungen reicht: »Mein armes Tier,«

so flüstert sie, »und bist du auch gefangen

gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen,

so hast du deine Kleinen doch bei dir.«

Den Vorhang hebt die graue Wärterin

und legt den Finger mahnend auf die Lippen;

die Kranke dreht das schwere Auge hin,

gefällig will sie von dem Tranke nippen;

er mundet schon, und ihre bleiche Hand

faßt fester den Kristall, - o milde Labe! -

»Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?«

»Er schläft,« versetzt die Alte abgewandt.

Wie mag er zierlich liegen! - Kleines Ding! -

und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;

ob man den Schleier um die Wiege hing,

den Schleier, der am Erntefest zerrissen?

Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett,

daß alle Frauen höchlich es gepriesen.

Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.

»Was läutet man im Dom, Elisabeth?«

»Madame, wir haben heut' Mariatag.«

So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. -

Wie war es nur? - Doch ihr Gehirn ist schwach,

und leise suchend zieht sie aus den Linnen

ein Häubchen, in dem Strahle kümmerlich

läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;

so ganz verborgen will sie es bereiten,

und leise, leise zieht sie Stich um Stich.

Da öffnet knarrend sich die Kammertür,

vorsicht'ge Schritte übern Teppich schleichen.

»Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!

Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?«

Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,

küßt wie ein Hauch die kleinen weißen Hände:

»Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!

Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.«

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Vom goldnen Überfluss"
Herausgeber: R. Voigtländers Verlag