Nikolaus Lenau

An die Hoffnung (Nikolaus Lenau)

       

Hoffnung! laß allein mich wallen,

Gaukle nicht um meine Bahn!

Deine Sterne sind gefallen,

Und mich täuscht kein holder Wahn!

Dieser streckt nach einer Krone

Seine Hand verwegen aus;

Doch ihn stoßt der Tod mit Hohne

In sein enges, kühles Haus.

Und ein andrer hat errungen,

Was der erste nur gewollt;

Hat die höchste Höh erschwungen:

Throne wanken, wenn er grollt.

Hoffnung! o warum entzündest

Du sein Herz zum stolzen Plan,

Da du schmeichelnd ihm verkündest

Einen Weltteil untertan?!

Über Völkern klirrt die Kette,

Da sein Schritt nach Osten stürmt;

Bang ruft eins dem andern: rette!

Von der Schreckensmacht umtürmt.

Nun ergreift ihn sein Verhängnis,

Reißt ihm Kron und Purpur ab,

Schleudert ihn ins Meergefängnis;

Bald verschlingt ihn dort sein Grab. –

In der Nächte stiller Feier

Hebt der heiligen Natur

Kühn ein Forscher ihre Schleier

Und verfolget Gottes Spur.

Denn du lässest schön erglänzen

Ihm ein Mal der Ewigkeit,

Enkel seine Gruft bekränzen; –

Und ihn lohnt – Vergessenheit!

Nach der Liebe treuem Glücke,

Das er nirgends finden soll,

Kehrt ein andrer seine Blicke,

Dir vertrauend, sehnsuchtsvoll.

All dein Wort ist Windesfächeln;

Hoffnung! dann nur trau ich dir,

Weisest du mit Trosteslächeln

Mir des Todes Nachtrevier!

(1827/28)

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-458-33686-9
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Insel Verlag