Ludwig Uhland

Die sanften Tage (Ludwig Uhland)

Ich bin so hold den sanften Tagen,

Wann in der ersten Frühlingszeit

Der Himmel, blaulich aufgeschlagen,

Zur Erde Glanz und Wärme streut;

Die Täler noch von Eise grauen,

Der Hügel schon sich sonnig hebt,

Die Mädchen sich ins Freie trauen,

Der Kinder Spiel sich neu belebt.

Dann steh´ ich auf dem Berge droben

Und seh´ es alles still erfreut,

Die Brust von leisem Drang gehoben,

Der noch zum Wunsche nicht gedeiht.

Ich bin ein Kind und mit dem Spiele

Der heiteren Natur vergnügt,

In ihre ruhigen Gefühle

Ist ganz die Seele eingewiegt.

Ich bin so hold den sanften Tagen,

Wann ihrer mild besonnten Flur

Gerührte Greise Abschied sagen;

Dann ist die Feier der Natur.

Sie prangt nicht mehr mit Blüt und Fülle,

All ihre regen Kräfte ruhn,

Sie sammelt sich in süße Stille,

In ihre Tiefen schaut sie nun.’