John Keats

Der Fall des Hyperion. Ein Traum (John Keats)

Fanatikern sind ihre Träume Webstoff

Für einer Sekte Paradies, der Wilde

Auch ahnt in den erhabensten Gestalten

Des Schlafs den Himmel — schade, daß sie nicht

Auf Pergament, auf wild-indianisch Blatt

Die Schatten wohlklingenden Ausspruchs pausten.

Doch Lorbeers bar sind, träumen, sterben sie;

Denn Poesie allein kann ihre Träume

Verkünden, mit der Worte heller Formel

Befrein die Phantasie aus düsterm Bann

Und stummem Zauber. Wer, der lebt, kann sagen

«Du bist kein Dichter - künd nicht deine Träume»?

Da jeder, ist kein Holzklotz seine Seele,

Visionen hat und spricht, wenn er geliebt hat

Und wohlgenährt ward von der Muttersprache.

Ob folgender Traum nun der eines Dichters

Oder Fanatikers ist, wird man wissen,

Liegt dieser warme Schreiber Hand im Grab.

Mir schien, ich stand, wo Bäume aller Breiten,

Palme und Myrte, Eiche, Ahorn, Buche

Mit Wegerich und Blattgewürz ein Schirm warn —

In Nachbarschaft von Quellen, da ihr Klang

Sanftrieselnd in mein Ohr drang, und, berührt

Von Duft, nicht fern von Rosen. Drehte ich mich,

So sah ich schweren Daches eine Laube

Aus Rebengittern, Glocken, größern Blüten,

Blumigen Weihrauchfässern gleich frei schwingend.

Vor der umrankten Tür, auf einer Bank

Aus Moos, lag bunt ein Mahl von Sommerfrüchten,

Das, trat man näher, übrig schien von Speisen,

Die Engel aßen oder Mutter Eva;

Denn leere Schalen warn verstreut im Gras,

Halb nackt erst Traubenstengel und auch Reste,

Süßduftend, deren bloße Art mir fremd war.

Noch war mehr Fülle, als der Fabel Horn,

Dreifach geleert, vergösse zum Gelage

Proserpinas, zurück auf ihren Feldern,

Wo weiße Färsen brülln. Und Appetit,

Verlangend wie ich nie auf Erden fühlte,

Im Innern wachsend, aß ich köstlich

Und, kaum geschehn, auch durstig, stand nahbei

Doch ein Gefäß kühl durchsichtigen Safts,

Geschlürft von Wanderbienen, den ich nahm

Und, feiernd alle Sterblichen der Welt

Und all die Toten, Namen unsern Lippen,

Trank. Dieser Trunk ist Quelle meines Themas.

Kein Asisch-Mohn, kein feines Elixier

Des bald vergehenden neidvollen Kalifats,

Kein Gift, erzeugt im engen Mönchsgelaß,

Verringernd scharlachne Konklavengreise,

Rafft derart unbequemes Leben hin.

Im Duft der Hülsen und der Beern, zerdrückt

Am Boden, stemmte ich mich schwer entgegen

Dem herrischen Gebräu; allein vergebens —

Der Rausch drang an, und ich sank hin,

Wie ein Silenus auf antiken Vasen.

Wie lang ich schlummerte - s ist schwer zu sagen.

Zurück die Lebenssinne, fuhr ich auf,

Als hätt ich Flügel; doch die schönen Bäume,

Die Moosbank und die Laube waren fort.

Rings sah ich auf die reichbehaunen Seiten

Eines uralten Tempels mit erhabnem,

So hohem Dach — mir schien, daß Schleierwolken

Hier hinziehn könnten wie hoch droben Sterne.

So alt der Ort war, ich entsann mich keines

Auf Erden ähnlichen: was ich gesehn

An Domen, Wällen, Türmen, schief und rissig,

Den Ruheständlern von versunknen Reichen,

Naturfels, schwer geplagt in Wind und Wellen,

Schien bloß Verfehl von hinfälligen Dingen

Vor solch allzeit gewölbtem Monument.

Zu meinen Füßen auf dem Marmor lagen

Manch sonderbar Gefäß und langes Tuch,

Gewoben wohl aus farbigem Asbest

Oder von Motten wars hier nicht zu fressen,

So weiß das Leinen; andre dann, ganz deutlich,

Durchliefen Bilder eines dunklen Garns.

In wirren Haufen durcheinander lagen

Gewänder, goldne Zangen, Schalen, Pfannen,

Auch Gürtel, Ketten, heilige Juwelen. —

Mich abwendend voll Ehrfurcht, hob ich nochmals

Den Raum allseits durchmessend meine Augen —

Das bossierte Dach, die massigstumme Reihe

Der Säuln von Nord nach Süd, endend im Nebel

Des Nichts; nach Osten dann, wo schwarze Tore

Verschlossen warn allzeit gen Sonnenaufgang.

Dann blickte ich nach Westen und sah fern

Ein Bildnis dort vom Ausmaß einer Wolke,

Zu dessen Füßen eben ein Altar schlief,

Erreichbar beidseitig durch Treppen,

Marmorne Balustraden und Geduld,

Mühsam zu zählen unzählge Stufen.

Gesetzten Schrittes zum Altar trat ich,

Hast unterdrückend als zu ruchlos hier

Und, näherkommend, sah zunebst des Schreins

Jemanden walten; und ein Feuer ging dort.

Wenn Mitte Mai der drückendschwere Ostwind

Jäh südwärts dreht, der dünne warme Regen

Aus allem Flor gefrornen Weihrauch schmilzt

Und mit so viel an heiterm Wohl die Luft füllt,

Daß selbst der Sterbende sein Grab vergißt —

Grad so warf jenes hehre Opferfeuer,

Verströmend Majas Weihrauch, ringsumher

Auf alles — außer Seligkeit — Vergessen

Und hüllte den Altar in weichen Rauch,

Aus dessen duftig weißen Schleiern ich

Die Worte hörte: «Kannst du nicht ersteigen

Die Stufen hier, stirb, wo du stehst auf Marmor.

Dein Fleisch, naher Verwandter nackten Staubs,

Wird ausdörrn mangels Nährstoff — dein Gebein

Zerfalln in ein, zwei Jahrn und so verwehn,

Daß nicht das schärfste Aug ein Gran wird finden

Von dem, was du nun bist auf kalten Fliesen.

Dein Lebenssand verrinnt mit dieser Stunde,

Und keine Hand im Universum dreht

Dein Stundenglas, verbrennt dies Laub voll Harz,

Eh diese ewgen Stufen du erklommen.»

Ich hörte, sah: zwei Sinne auf einmal,

So fein, so scharf, spürten die Tyrannei

Solch wilden Drohns und hart verfügten Loses.

Gewaltig schien die Anstrengung; noch brannte

Das Laub — als plötzlich von den Fliesen aufwärts

Ein Schauder lähmend meine Glieder schlug

Und rasch, um kalten Griffs zu fassen

Die Ströme, pulsend an der Kehle, stieg.

Ich schrie; und meines Aufschreis helle Angst

Drang mir ins Ohr — der Taubheit zu entgehn,

Rang ich, die tiefste Stufe zu erreichen.

Schwer, langsam, todgleich war mein Schritt; die Kälte

Wuchs würgend, es erstickend, in mein Herz;

Und faltend meine Hände, fühlt ich sie nicht.

Dem Tode nah, erklomm mein Fuß durcheist

Die tiefste Stufe; sie berührt, schien Leben

Zu strömen in die Zehen: ich stieg aufwärts

Wie holde Engel einst an einer Leiter

Vom Gras gen Himmel flogen. «Heilge Macht»,

Rief ich, mich nähernd dem behörnten Schrein,

«Was bin ich, das erlöst so soll vom Tod sein?

Was bin ich, daß ein andrer Tod nicht kommt,

Mein schänderisches Wort hier zu ersticken?»

Da sprach verhüllt der Schatten: «Du verspürtst,

Was sterben heißt und dann erneut zu leben,

Eh deine Stunde schlug. Daß dessen mächtig

Du bist, erlöst dich; aufgeschoben hast du

Dein Los.» — «Hohe Prophetin», sprach ich, «fortwisch,

Gütge, gefällts dir, meines Geistes Schleier.»

«Keinem frommt diese Höhe», sprach der Schatten,

«Als jenen, denen alles Leid der Welt

Ihr Leid ist und nicht ruhn sie lassen wird.

All die, die Zuflucht finden in der Welt,

Wo sorglos man verschlafen kann sein Leben,

Die, bringt der Zufall sie in diesen Tempel,

Verwesen in ihm, wo du halb verwestest.»

«Sind Tausende nicht auf der Welt», sprach ich,

Ermutigt durch des Schattens reine Stimme,

«Die bis zum Tod noch ihre Brüder lieben;

Das ungeheure Leid der Welt verspüren;

Die noch, gleich Knechten einer armen Menschheit,

Sich mühn um sterblich Wohl? Sehn müßt ich sicher

Noch andre hier — doch ich bin ganz allein.»

«Jene, die du erwähnst, sind keine Seher»,

Sprach nun die Stimme, «keine schwachen Träumer,

Suchen kein Wunder als des Menschen Antlitz,

Keine Musik als heiterklingende Stimmen —

Sie kommen nicht, sie denken nicht ans Kommen —

Und du bist hier, weil weniger du bist. —

Was kannst du Gutes tun, was all dein Stamm,

Der großen Welt? Du bist ein träumend Ding,

Ein Fieber deiner selbst. Denk an die Erde;

Selbst Hoffnung — welches Glück birgt sie für dich,

Welch Zuflucht? Ein Geschöpf hat seine Heimat;

Ein jeder Tage voller Freud und Leid,

Gleich ob sein Werk erhaben oder niedrig —

Das Leid; die Freude; deutlich unterschieden.

Der Träumer nur vergällt sich alle Tage,

Erduldet Schmerz, den keine Schuld verdient.

Deshalb, auf daß gerecht das Glück verteilt sei,

Wird eingelassen dann ein Ding wie du

In solche Gärten, wie du jüngst durchwandert,

Und in den Tempeln dort geduldet; darum

Droht nichts dir unter dieser Statue Knie.»

«Daß ich, nichtswürdig, doch bevorzugt bin,

Durch so geneigte Rede Heilung findet

Nicht unedles Gebrechen, das beglückt mich —

Ja, und ich könnte weinen vor solch Gunst.»

So sprach ich und fuhr fort: « Wenn dirs gefällt,

Erhabner Schatten, sage mir: gewiß ist

Nicht jedes Lied, ins Ohr der Welt gesungen,

Nutzlos. Ein Dichter ist gewiß ein Weiser,

Ein Humanist, ein Arzt für alle Menschen.

Ich bins nicht, spür ich wie der Geier spürt,

Er ist kein Vogel, wenn ein Adler kreist.

Was bin ich dann? Du sprachst von meinem Stamm —

Welch Stamm?» — Gehüllt in niederhängendes Weiß,

Sprach da so ernst der Schatten, daß sein Atem

Das dünne Leintuch auftrieb, niederhängend

Aufs goldne Rauchfaß, welches an der Hand

Ihm schwang. — «Gehörst du nicht zum Stamm der Träumer?

Der Dichter und der Träumer sind verschieden,

Anders, schier gegensätzlich, Antipoden.

Der eine schüttet Balsam auf die Welt,

Der andre peinigt sie.» Da rief ich aus,

Mir selbst verhaßt, in einem Anfall Pythias:

«Apoll! entschwundner, ferner Apollon!

Wo dampft dein Pesthauch nun, um unterm Türritz

Hineinzukriechen in die Wohnungen

Der Spottlyristen, großen Selbstanbeter

Und saubern Laffen hoher mieser Dichtkunst.

Saug ich wie sie den Tod ein — Leben sein wirds,

Sie vor mir hingestreckt ins Grab zu sehn.

Erhabner Schatten, sag mir, wo ich bin,

Wessen Altar dies ist; wem Weihrauch aufsteigt;

Welch Bildnis dies, des Antlitz ich nicht seh

Vor breiten Marmorknien, und wer du bist,

Du mit dem Stimmklang einer Frau, so gütig.»

Da sprach, gehüllt in niederhängendes Leintuch,

So ernst der große Schatten, daß sein Atem

Die dünne Gaze rührte, niederhängend

Aufs goldne Rauchfaß, welches an der Hand

Ihm schwang; und ich hört langverwahrte Tränen

Ihn weinen. «Dieser Tempel, grau und einsam,

Ist, was verschont vom Tosen eines Kriegs ward,

Gekämpft einst von der Hierarchie der Riesen

Wider den Aufruhr; hier dies alte Bildnis,

Züge im Stein, die, als es fiel, sich furchten,

Ist das Saturnus; ich, Moneta, blieb

Höchste, einzige Priestrin seiner Ödnis.»

Ich sprach kein Wort darauf, denn meine Zunge,

Nutzlos, fand unterm Runddach ihres Heims

Nicht einen Laut einer gebührnden Hoheit,

Um zu erwidern auf Monetas Klage.

Es herrschte Stille, da die Glut des Schreins

Auf süße Nahrung brannte: ich sah hin,

Sah auf den Fliesengrund, wo dicht geschichtet

Reiser des Zimtbaums warn nebst manchem Stoß

Von anderm mürben Würzholz — sah erneut

Auf den Altar dann und auf seine Hörner,

Weiß von der Asche, seine schwache Flamme

Und nochmals auf die Opfergaben dann,

So hin und her — bis schwer Moneta ausrief:

«Das Opfer ist vollbracht, gleichwohl jedoch

Will gut ich zu dir sein ob deines Wohlwollens.

Die mir noch immer Fluch ist, meine Macht,

Sie sei für dich ein Wunder; denn die Szenen,

Noch lebhaft schwindelnd im gewölbten Hirn

Vor aufgeladen wechselvollem Elend,

Sollst du mit sterblichstumpfen Augen schaun,

Von Schmerzen frei, wenn Wunder dich nicht schmerzen.»

Wenn einer Göttlichen gerundet Wort

Sanft muttergleich sein könnte, dann dies letzte;

Und doch verspürt ich Furcht vor ihren Kleidern,

Am meisten vor dem Schleier, der ihr bleich

Vom Haupt hing und sie hüllte in Mysterien,

Daß mein Herz zu klein ward für sein Blut.

Die Göttin sahs und teilte heilger Hand

Den Schleier — da sah ich ein fahles Antlitz,

Welk nicht von irdschem Leid, doch hell gebleicht

Durch Krankheit, die, nicht sterblich, auch nicht tötet;

Die steten Wandel bringt, dem selger Tod

Kein Ende setzt; todwärts schritt fort dies Antlitz

Zu keinem Tod; schon hatt es überholt

Die Lilie und den Schnee; und weiter jetzt

Darf ich nicht denken, sah ich auch dies Antlitz —

Nur um der Augen willen floh ich nicht.

Sie hielten mich zurück, mit gütgem Leuchten,

Besänftigt-mild durch göttlichholdste Lider,

Die, halb geschlossen, gänzlich blind doch schienen

Für alles Äußere — sie sahn mich nicht,

Ihr Glanz war stumpf gleich dem des milden Monds,

Der dem Trost gibt, den er nicht sieht, nicht weiß,

Welch Auge aufwärtsblickt. Als hätte ich

Ein Körnchen Gold auf einem Hang entdeckt,

Gepackt von Gier geweitet meine Augen,

Das finstre Innre, reich an Gold, zu suchen,

So brannte ich beim Blick zur Stirn Monetas,

Zu sehn, welch Dinge das durchhöhlte Hirn

Im Schoß trug hinter ihr; welch reich Tragödie

In den verborgnen dunklen Schädelkammern

Gespielt ward, die solch furchtbarn Nachdruck legte

Auf kalte Lippen, mit solch Glanz erfüllte

Planetengleiche Augen und der Stimme

Solch Schwermut beigab. — «Schatten der Erinnrung!»

Rief ich im Fußfall der Verehr vor ihr,

«Bei all der Nacht um dein gefallnes Haus,

Bei diesem letzten Tempel, goldner Zeit,

Bei Gott Apollo, deinem Pflegekind,

Sowie bei deinerselbst, verlaßne Gottheit,

Dem blassen Omega versunkner Sippen,

Laß mich erblicken wie du es versprachst,

Was so im Hirn dir hin und wider gärt.»

Kaum daß passierte meine frommen Lippen

Dies Anflehn, standen wir schon Seit an Seit

(Verholztem Busch gleich an erhabnen Kiefern)

Tief in der finstren Schwermut eines Tals,

Fern von des Morgenhauches Wohl versunken,

Fern feurgem Tag und Abends einzgem Stern.

Ich blickte tiefer in das düstre Zweigwerk

Und sah, was erst ein mächtig Bildnis schien,

Ganz ähnlich ersterem, postiert so hoch

Im Tempelbau Saturns. Da traf die Stimme

Monetas kurz mein Ohr: «So saß Saturn,

Als seine Reiche er verlorn.» Schon wuchs

Die Kraft der ungeheuren Sicht in mir,

Zu sehen wie ein Gott sieht, leicht die Tiefe

Der Dinge zu durchdringen wie von außen

Ausmaß und Form das Aug. Das hehre Thema

Des knappen Worts hing riesig mir vorm Geist,

Mit halbentwirrtem Netz. Ich setzte mich

Auf eines Adlers Ausguck, um zu sehen

Und sehend nie zu vergessen. Kein Hauch Leben

Traf dies verhüllte Tal, nicht so viel Luft

Als im Umkreisen eines Sommertags

Kein Samenkorn aus federigem Gras raubt;

Wohin ein totes Blatt fiel, blieb es liegen.

Ein Bach lief stumm vorbei, gedämpfter noch

Von Schatten, die die abgefallne Gottheit

Hier warf; im Röhricht preßte die Najade

Den kalten Finger fester auf die Lippen.

Den Ufersand lang liefen breite Fußspurn

Bis da, wo ausgeruht der greise Fuß

Saturns und schlief nun — welch ein langer Schlaf!

Entwürdigt, kalt auf dem durchtränkten Grund,

Lag seine alte Rechte schwach, matt, tot,

Entzeptert; reichlos war sein Aug geschlossen,

Indes gebeugt sein Haupt zu lauschen schien

Der alten Mutter Erde, ihn zu trösten.

Es schien, von hier könnt keine Macht ihn wecken;

Doch Eine kam, die, mit verwandter Hand,

Die breiten Schultern griff, voll Ehrfurcht tief

Verneigt, obschon er des nicht inneward.

Da tönte traurig Mnemosynes Stimme,

Und traurig lauschte ich. «Die Gottheit, welche

Du kommen sahst aus jenem ödsten Wald,

Sich langsam nähernd dem gefallnen König,

Ist Thea, sanftmütigste unsres Stamms.»

In holder Ausbildung sah ich die Göttin

Monetas Blässe haupthoch überragen,

In ihrer Trübsal Frauentränen näher.

In ihrem Blick lag lauschend eine Furcht,

Als hätte nun das Unheil erst begonnen;

Als hätten Vorhutwolken böser Tage

Ihr Gift vergossen und die finstre Nachhut

Wälz mit geballtem Donnern sich einher.

Mit einer Hand griff sie zum wehen Fleck,

Wo eines Menschen Herz schlägt, so als spürte,

Obschon unsterblich, sie dort furchtbarn Schmerz;

Die andre um Saturns gekrümmten Nacken

Gelegt und bis in Höhe seines hohlen Ohrs

Geneigt mit offnen Lippen, sprach sie Worte

Ernsten Gehalts, in tiefem Orgelklang,

Klagende Worte, die, mit schwacher Zunge

Wie unsrer, solchen Klanges wärn — wie kraftlos

Gegen den reichen Ausdruck früher Götter! —

«Saturn, schau auf! — nur, arm verlorner König —

Zu was? Ich bring dir keinen Trost, nein — keinen;

Ich kann nicht rufen Weshalb schläfst du so?

Denn dich verließ der Himmel, und die Erde

Erkennt dich, so geschlagen, nicht als Gott;

Und auch der Ozean, all sein ernstes Tosen,

Ließ deinen Zepter sein, und alle Luft

Ist leer von deiner greisen Herrlichkeit.

Dein Donner, nicht gewogen neuer Weisung,

Zürnt zage über uns gefallnes Haus;

Dein scharfer Blitz, in ungeübten Händen,

Versengt, verbrennt unser einst heitres Reich.

So reuelos schnell kommt stets neuer Schmerz,

Daß keine Hoffnung Raum zum Atmen hat.

Schlaf fort, Saturn. Ich Achtlose, was stör ich

Derart deine verträumte Einsamkeit?

Was öffnen deine schwermutsvollen Augen?

Schlaf fort, da ich zu deinen Füßen weine.»

«Damit du, Sterblicher, auch recht verstehst,

Vermenschlich ich mein Sprechen für dein Ohr

Und stell Vergleiche an mit Irdischem;

Ansonsten lauschtest besser du dem Wind,

Der dir ein tauber Lärm ist, keine Sprache,

Bläst er vor Sagen schwer auch durch die Bäume. —

Viel fließen Tränen an betrübtem Ort,

Mehr Kummer, diesem gleich, und selbes Leid,

Zu groß dem irdschen Wort, dem Stift des Schreibers.

In Fesseln oder selbst verborgen, ächzen

Nach alter Lehnspflicht Rückkehr die Titanen,

Harrend in ihrem Los dem Ruf Saturns.

Nur einer unsrer ganzen Adlersippe

Bewahrt die Hoheit, Herrscherkraft und Größe:

Lodernd auf kugeligem Feuer sitzt

Hyperion, saugt ein noch Weihrauch, wirbelnd

Von Mensch zu Sonnengott — doch sicher nicht.

Denn wie ein schlechtes Zeichen auf der Erde

Schrickt und bestürzt, so schaudert hier auch ihn:

Kein Hundsgeheul, kein abendlicher Schrei

Des Dämmervogels, nicht das Umgehn dessen,

Dem just die Totenglocke einmal schlug —

Doch Grauen, einer Riesenkraft bemessen,

Peinigen Gott Hyperion. Sein Palast,

Basteit mit glühend goldnen Pyramiden,

Wo bronzne Obeliske Schatten werfen,

Glimmt ein Blutrot durch all die tausend Höfe,

Die Bögen, Kuppeln, feurgen Galerien;

Und Vorhänge aurorischen Gewölks

Erglühen zornig: kostet er vom Dampf

Des Weihrauchs, aufgeweht von heilgen Hügeln,

So schmeckt statt Süßigkeit sein weiter Gaumen

Giftiges Erz und eklige Metalle.

Deshalb, den müden Westen eingebracht,

Nach gänzlicher Vollendung lichten Tags,

Statt Himmelsruhe auf erhabnem Lager

Und Schlummer in den Armen von Musik,

Durchmißt er auch die heitern Mußestunden

Mit Riesenschritten, fort von Saal zu Saal;

Indessen tief in Seitengang und Winkel

Zu Trauben sich beschwingte Diener drängen,

Erschrocken und voll Furcht; den Bangen gleich,

Die sich auf weiter Ebne traurig sammeln,

Wenn Turm und Zinnen beben mit der Erde.

Grad da Saturn, erwacht aus eisger Starre,

Mit Thea, Schritt für Schritt, aus jenem Wald kommt,

Senkt schräg hinab sich zu des Westens Schwelle

Hyperion, Zwielicht breitend hinter sich —

Dorthin ziehn wir.» — In hellem Licht stand ich,

Dem düstern Tal entkommen. Mnemosyne

Saß nun auf einem glatten Vierkantstein,

Der unverzerrt aus lichtem Tief zurückwarf

Ihr Priestertuch. Mein rascher Blick lief hin

Von Schiff zu Schiff, Gewölbe zu Gewölbe,

Durch Lauben duftenden, umrankten Lichts,

Arkaden, leuchtend, lang, demantbefliest.

Da rauschte hell Hyperion heran;

Sein Flammenkleid schlug ihm um seine Fersen

Mit einem Krachen wie von irdschem Feuer,

Daß die ätherisch sanften Horen, flatternd

Auf Taubenschwingen, flohn. Er flammte weiter ...