Johann Wolfgang von Goethe

Der getreue Eckart (Johann Wolfgang von Goethe)

"O wären wir weiter, o wär' ich zu Haus!

Sie kommen. Da kommt schon der nächtliche Graus;

Sie sind's, die unholdigen Schwestern.

Sie streifen heran und sie finden uns hier,

Sie trinken das mühsam geholte, das Bier,

Und lassen nur leer uns die Krüge."

So sprechen die Kinder und drücken sich schnell;

Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell:

"Nur stille, Kind! Kinderlein, stille!

Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd,

Und laßt ihr sie trinken, wie's jeder behagt,

Dann sind sie euch hold, die Unholden."

Gesagt, so geschehn! Und da naht sich der Graus

Und siehet so grau und so schattenhaft aus,

Doch schlürft es und schlampft es aufs beste.

Das Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer;

Nun saust es und braust es, das wütige Heer,

ins weite Getal und Gebirge.

Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell,

Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell:

"Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig." -

"Wir kriegen nun Schelten und Streich' bis aufs Blut."

-

"Nein keineswegs, alles geht herrlich und gut,

Nur schweiget und horchet wie Mäuslein.

Und der es euch anrät und der es befiehlt,

Er ist es, der gern mit den Kindelein spielt,

Der alte Getreue, der Eckart.

Vom Wundermann hat man euch immer erzählt,

Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt;

Die habt ihr nun köstlich in Händen."

Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug

Ein jedes den Eltern bescheiden genug

Und harren der Schläg' und der Schelten.

Doch siehe, man kostet: Ein herrliches Bier!

Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier,

Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.

Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht

Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht,

So horchet und folget ihm pünktlich!

Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut,

Verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut;

Dann füllt sich das Bier in den Krügen.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Die Fackel, Lesebuch für höhere Schulen"
Herausgeber: Vandenhoek & Ruprecht