Johann Wolfgang von Goethe

An Behrisch (Johann Wolfgang von Goethe)

I.

                         

     

Du gehst! Ich murre.

Geh! Laß mich murren.

Ehrlicher Mann

Fliehe dies Land.

Tote Sümpfe,

Dumpfe Oktobernebel

Verweben ihre Ausflüsse

Hier unzertrennlich.

Gebärort

Schädlicher Insekten,

Mörderhülle

Ihrer Bosheit.

Am schilfigten Ufer

Liegt die wollüstige

Flammengezüngte Schlange,

Gestreichelt vom Sonnenstrahl.

Fliehe sanfte Nachtgänge

In der Mondendämmerung,

Dort halten zuckende Kröten

Zusammenkünfte an Kreuzwegen.

Schaden sie nicht,

Werden sie schrecken.

Ehrlicher Mann,

Fliehe das Land!

II.

Sei gefühllos!

Ein leichtbewegtes Herz

Ist ein elend Gut

Auf der wankenden Erde.

Behrisch, des Frühlings Lächeln

Erheitre deine Stirne nie;

Nie trübt sie dann mit Verdruß

Des Winters stürmischer Ernst.

Lehne dich nie an des Mädchens

Sorgenverwiegende Brust,

Nie auf des Freundes

Elendtragenden Arm.

Schon versammelt

Von seiner Klippenwarte

Der Neid auf dich

Den ganzen luchsgleichen Blick.

Dehnt die Klauen,

Stürzt und schlägt

Hinterlistig sie

Dir in die Schultern.

Stark sind die magern Arme,

Wie Pantherarme;

Er schüttelt dich

Und reißt dich los.

Tod ist Trennung,

Dreifacher Tod

Trennung ohne Hoffnung

Wiederzusehn.

Gerne verließest du

Dieses gehaßte Land,

Hielte dich nicht Freundschaft

Mit Blumenfesseln an mir.

Zerreiß sie! Ich klage nicht.

Kein edler Freund

Hält den Mitgefangenen,

Der fliehn kann, zurück.

Der Gedanke

Von des Freundes Freiheit

Ist ihm Freiheit

Im Kerker.

Ich zähle die Schläge

Des donnernden Rads,

Segne den letzten,

Da springen die Riegel, frei bin ich wie du!

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gesammelte Werke in sieben Bänden"
Herausgeber: Bertelsmann Lesering