Johann Heinrich Voss

Junker Kord (Johann Heinrich Voss)

Ein Gegenstück zu Virgils Pollio

               

Sing höheren Gesang, o ländliche

Kamöne1).

Nicht jeder liebt die Flur und sanfte Flötentöne.

Ein Lied, des Junkers wert, ein Lied voll Saft und Mark,

Ein edles Waldhornstück durchschmettere den Park.

Horch! von dem Schindelturm summt schwellend durch die Himmel

Zu Stadt und Dörfern rings ein feierlich Gebimmel.

Horch! zwölffach ruft vom Hof metallner Böller Knall

Und geltendes Juchhein dem fernen Widerhall.

Unruhig fragt das Dorf, was doch der Lärm bedeutet,

Warum so rasch aufs Schloß der Adel fährt und reitet.

Freud über Freud! ertönt's; der Storch hat diese Nacht

Für unsers Junkers Frau ein Jünkerchen gebracht!

Traur', armes Waldgeschlecht! Ihr Rehe, Schwein' und Hirsche,

Trau'rt rudelweis; euch droht die mörderlichste

Birsche2)!

O Has und Häsin, trau'rt! Ein schrecklich Kind erwuchs!

Vor seinem Rohr entrinnt kein Otter und kein Fuchs!

Umschreit, ihr Vögelschwärm', und hackt mit Klau und Schnabel

Ihn, der euch Mord gebracht, den Unglücksstorch der Fabel!

Euch schützt vor

Beiz3) und

Schuß kein

Schluf4) des Moors

und Walds;

Dich, Trappe, nicht der Flug, dich, Birkhahn, nicht die Balz!

Noch harmlos ruht und fromm der sanftgewiegte Junker:

Sein Wappen ziert die Deck, im Glanz der goldnen Klunker;

Es wehrt dem

Ungetüm5) der

Basen Kreuz und Spruch;

Die Nichten sehn das Bild des Vaters Zug vor Zug.

Der Vettern Waidgelag stößt an mit vollem Glase;

Rheinwein und englisch Bier bepurpert jede Nase.

Windspiel und Dogg und

Brack6) und Dachs-

und Hühnerhund

Hüpft wedelnd um die Wieg, und leckt ihm Hand und Mund.

Unsichtbar überschwebt das Dach der wilde Jäger

Auf trübem Nebelgaul, und wird des Kindleins Pfleger.

Bald horcht's, und lächelt still, auf Hifthorn und Geblaff,

Zielt an der Amme Brust, und lallt: Aport und Paff!

Bald lernt es namentlich der Hunde Trupp zu locken;

Mit hölzernem Gewehr, Wildpret und

Jägerdocken7)

Spielt's Jagd; und selbst der Mund des gütigen Papas

Pfeift ihm dazu ein Stück auf seinem Pulvermaß.

Wohl dir, holdselig Kind! Dir sprießet Gerst und Hopfen

Auf väterlicher Flur, zu braunen Balsamtropfen;

Dir trägt die Biene Met zu starker Morgenkost;

Aus eignem Garten quillt würzhafter Apfelmost!

Wann, als Husar, der Knab ein Steckenpferdchen tummelt,

Den kleinen Tiras8)

schlägt, und auf der Trommel rummelt;

Behaglich hört er dann vom Oheim und Papa

Gar manchen Jugendschwank, und atmet staunend Ah!

Selbst führt der Vater ihn durchs große Tafelzimmer,

Und zeigt rings an der Wand der Wappen bunte Schimmer,

In Stahl und Knebelbart der Ahnenbilder Reih,

Und über jedem Bild ein stattlich Hirschgeweih.

Schau, ruft er, Junker Kord, schau jenen Sechzehnender!

Den schoß ich dir als Bursch für unsern Bratenwender!

Noch seh ich, wie voll Angst durch Heid und Bach er lechzt,

Mit Schweiß9)

die Fährte färbt, und hin sein Leben ächzt!

Als Bursch erlegt' ich auch, ohn einen Schuß der Büchse,

Mit bloßem Peitschenhieb, den schlauesten der Füchse!

Wie Donnerwetter ging's! Mir stürzten in den Sand

Drei Klepper: dennoch ward der Bau ihm kurz verrannt!

Wie aber sprang mit mir der Wallach über Hecken

Und Zäun' und Graben hin! Wie bäumt' er wild vor Schrecken,

Als ich den Werwolf mit geerbtem Silber

schoß10),

Und schnell ein altes Weib aus Lumpen Blut vergoß!

Was weinst du, zärtlichste der Mütter? Trotz den Tränchen,

Lernt Schreib- und Lesekunst, vier Stunden tags, dein Söhnchen.

Doch ist sein Kandidat nicht unnütz ganz und gar:

Er tanzt und ficht mit Kord, und kräuselt ihm das Haar.

Auch weiß der

Mensch11), ein Wust

von Wissenschaften ziere

Nur Bürgervolk zur Not, doch schänd er Kavaliere.

Was macht ein junger Herr mit Griechisch und Latein?

Sollt' er der klügste Sproß des alten Stammbaums sein?

Eh noch sein flaumig Kinn der Diener eingeseifet,

Wird er ein voller Kerl, im Jägerkrug gereifet,

Spielt deutsches

Solo12), schnapst,

schiebt Kegel, schmaucht Tabak,

Und leert auf einen Zug sein

Reifglas13)

Kniesenak14).

Beherzt nun schäkert er um Gouvernant und Zofe,

Nicht knabenhaft, und bald um jede Magd im Hofe.

Doch hält ihn Lenens Reiz, hochstämmig, rot von Mund,

Mit derbem Backenpaar, von Brust und Hüfte rund.

Heuboden, Garten, Wald, ihr wißt, warum die Schürze

Sich so zur Ungebühr dem armen Lenchen kürze.

Sei lustig, gutes Ding! Zwar keift die gnäd'ge Frau,

Zwar stehst du büßend bald im Kirchengang zur

Schau15);

Allein was achtest du des Zischelns und des Hohnes?

Die Herrschaft ingeheim freut sich des wackern Sohnes;

Auch nimmt der Kandidat voll Untertänigkeit

In deiner Schürz einmal die Pfarre

hocherfreut16).

O Kord, zum zwanzigsten Geburtstag nun erwachsen,

Des jungen Adels Kron im Doppelreich der

Sachsen17),

Verherrlichst du den Glanz des nahen Hofs, und wirst

Jagdjunker, dreist und keck. Verdienste lohnt der Fürst.

In silberhellem Grün, mit reger Hunde Koppeln,

Trabst du zur Martinsjagd durch Auen, Forst' und Stoppeln.

Wie hallt Gebell und Horn! wie schnaufen Roß und Mann!

Wie scheucht der Dörfer Volk das Wild bergab bergan!

Doch hebt sein adlich Herz auch mildere Bewegung:

Er schirmt mit List und Mut verrufnes Wildes Hegung,

Wenngleich der Bauer laut zum Landesvater klagt.

Zur Strafe wird dem Schelm sein Brotkornfeld zerjagt.

Ihm huldigten fürwahr Vestalinnen und Nonnen,

Durch liebenswürdige Zudringlichkeit gewonnen.

Zwar Weiber kosten viel, und der Papa ist knapp;

Doch mahne Jud und Christ! er lacht, und handelt ab.

Zur Wette spornt er einst den feurigen Polacken,

Sprengt tollkühn übers

Heck18), und

stürzet. Weh! es knacken

Zwei Rippen ihm morsch ab! Möcht er gerettet sein!

Er ist's! um bald als Herr sein Völkchen zu erfreun.

Seht da! Frau Lenens Mann, der

Ausbund19) der

Pastöre20),

Kommt sporenstreichs vom Gut auf der bespritzten Mähre:

»Ihr Vater, Herr Baron!« – Ist endlich

abgeschurrt21)?

»Am Schlag!« – Nun, gute Nacht! So hat er ausgeknurrt.

Leibeigne, jung und alt, mit Jubel und mit Segen

Hüpft eurem Herrn mit Spiel und Sensenklang entgegen!

Der wird voll Eifers sich erbarmen eurer Mühn,

Und eure Kinder fromm und wirtschaftlich erziehn!

Streut Blumen auf den Weg, singt, Mädchen, singet munter,

Und schlagt die Hark im Takt! Er winkt vom Hengst herunter

Euch Küsse! Jäger, blast! Ihr Hund', erhebt das Maul,

Und grüßt mit festlichem, vielstimmigem Gejaul!

Die ganze Bauerschaft mit aufgeregten Ohren

Schwört Ihm, des gnädigen Barons

Hochwohlgeboren22),

Erb- und Gerichtesherrn der alten Baronei,

Nach vorgelesner Schrift des

Fronvogts23),

Pflicht und Treu.

Bankett und Ball empfängt die Adlichen der Gegend,

Mit Prunk und Völlerei die groben Sinne pflegend.

Im Kreis der Spötter sitzt der muntre Schwarzrock auch,

Antwortet bibelfest, und sättiget den Bauch.

Jauchzt, froher Ahndung voll, jauchzt, Untertan und Pächter!

Stimmt ins Gekreisch, ins laut aufschallende Gelächter

Der Damen und der Herrn! Vom Jägerchor wird jetzt

Ein matter Fuchs

geprellt24), ein

Marder totgehetzt!

Kamöne, Muse, Göttin der Begeisterung.

 

Birsche, das Schießen mit Jagdflinten, die Jagd.

 

Beize, die Jagd mit abgerichteten Falken und Habichten.

 

Schluf, Schlupfwinkel.

 

Ungetüm, Spuk, heimtückischer Geist

 

Brack, ein Leithund, der am Seile spürt.

 

Jägerdocke, Jägerpuppe.

 

Tiras, der Name eines Hühnerhunds.

 

Schweiß, ein Jagdausdruck für Blut.

 

Die Jäger glauben, daß alte Hexen und Zauberer, wofür man

selten andere als arme zerlumpte Leute ansieht, in Werwölfe verwandelt herumlaufen und stehlen,

aber, wenn sie ein Schuß mit Erbsilber trifft, in ihre Menschengestalt zurückkehren.

 

Der Mensch, in der Adelssprache ein Dienender.

 

Deutsches Solo, ein gemeines Kartenspiel.

 

Reifglas, ein großes Glas mit erhobenen Reifen, wo jeder Zwischenraum

einen gewöhnlichen Trunk enthält.

 

Kniesenak, Herrenbier, der wendische Name des starken Bieres, welches in

Güstrow gebraut und weit verfahren wird: von Knees, Herr.

 

Die öffentliche Kirchenbuße entehrter Mädchen hat

aufgehört; die Geldbuße der geringeren dauert fort.

 

Diese Art, das vom Junker verführte Mädchen zu versorgen, wird

u. a. in Thümmels Wilhelmine, 1764, und in Nicolais Sebaldus Nothanker,

1773-76, dargestellt.

 

Das Doppelreich der Sachsen, Ober- und Niedersachsen.

 

Das Heck, eine Gattertüre, die in eingekoppelten Feldern den Fahrweg

hemmt.

 

Ausbund, was von den Waren als Muster auswärts gebunden ist.

 

Pastöre, im Scherz für Pastoren.

 

In Niedersachsen wird abschurren, mit scharrendem Geräusch abgehn, und in

die Grube fahren, spottweise gesagt.

 

Hochwohlgeboren, für Hochwohlgeborenheit.

 

Fronvogt, hier ein harter Justitiarius, der nur Pflichten des Fröners und

keine Pflichten des Fronherrn kennt.

 

Das Fuchsprellen, eine Weidmannslust, da ein Fuchs auf einem straff angezogenen

Tuche, wie Sancho Pansa, in die Höhe geschnellt wird. Vergleiche die kernhafte Beschreibung in

Adelungs Wörterbuch.

 

Uralter Straßenräuber, siehe des Freiherrn von Horix Ehre des

Bürgerstandes nach den Reichsrechten. Wien 1791, § 13-21.

 

Ein Menschentreiber, nach dem Ausdruck der Bibel, darf derjenige wohl

heißen, welcher Menschen mit so grausamer Willkür, wie bei Id. 19, 35 gezeigt wird,

zu behandeln, übers Herz bringen kann.

 

Brennen und Braun..., Recht der Ritterschaft, siehe die Vorstellung der

sächsischen Städte im Junius des Schleswigschen Journals, 1793.

 

Schoß, Steuer, Abgabe.

 

»Der Bauer muß nicht zu klug werden« ist schon

sprichwörtlicher Grundsatz der meisten Fronherren.

 

Freigeist, ein altes Schimpfwort für den, der nicht jedem angemuteten

Glauben seine Vernunft unterwirft.

 

Demokrat, ein neues Schimpfwort für den, der nicht alles Hergebrachte

für unverbesserlich hält.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-002332-7
Erschienen im Buch "Idyllen und Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.