Hermann von Gilm

Das kranke Kind (Hermann von Gilm)

Der Vater ist seit Jahren blind -

blind sein, ist mehr als sterben!

Die Mutter hat ein krankes Kind

und kann nicht viel erwerben.

Die Stube war noch nie so warm,

obgleich das Fenster offen,

seitdem des Winters harter Arm

die Erde hat getroffen.

Die Sonne küßt das bleiche Kind

zum erstenmal im Jahre;

es spielt ein weicher, warmer Wind

mit seinem feuchten Haare.

Und wie sein Blick am Himmel hängt,

als möcht's dahin entfliehen,

im Wangengrübchen langsam fängt

ein Röslein an zu blühen.

Die Mutter weiß vor Freud' nicht Rat,

bricht aus in lautes Weinen, -

Das war des Frühlings erste Tat

und keine von den kleinen.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Vom goldnen Überfluss"
Herausgeber: R. Voigtländers Verlag