Gottfried Keller

Nachtfalter (Gottfried Keller)

Ermattet von des Tages Not und Pein,

Die nur auf Wiedersehen von mir schied,

Sass ich und schrieb bei einer Kerze Schein,

Und schrieb ein wild und gottverleugnend Lied.

Doch draussen lag die klare Sommernacht,

Mild grüsst mein armes Licht der Mondenstrahl,

Und aller Sterne volle goldne Pracht

Schaut hoch herab auf mich vom blauen Saal.

Am offnen Fenster blühen dunkle Nelken

Vielleicht die letzte Nacht vor ihrem Welken.

Und wie ich schreib' an meinem Höllenpsalter,

Die süsse Nacht im Zorne von mir weisend,

Da schwebt herein zu mir ein grauer Falter,

Mit blinder Hast der Kerze Docht umkreisend;

Wohl wie sein Schicksal flackerte das Licht,

Dann züngelt' seine Flamme still empor

Und zog wie mit magnetischem Gewicht

Den leichten Vogel in sein Todestor.

Ich aber hemmte meines Liedes Lauf

Und hob den Anfang bis auf weitres auf.