Gottfried Keller

Klage der Magd (Gottfried Keller)

Nun ist der Lenz gekommen,

Nun blühen alle Wiesen,

Nun herrschen Glanz und Freude

Auf Erden weit und breit;

Nur meine böse Herrin,

Sie keift und zetert immer

Noch wie in der betrübten

Und kalten Winterzeit!

Wenn ich am frühen Morgen

Mit aufgewachtem Herzen

Im Garten grab' und singe,

Die Welt mir freundlich blickt.

Wirft sie mir aus dem Fenster

Die ungefügen Worte,

Dass rasch in meiner Kehle

Das kleine Lied erstickt.

Und wenn mein Vielgeliebter

Am Hag vorüber wandelt

Und ein paar warme Blicke

Mir in die Seele warf,

Höhnt sie am Mittagsmahle,

Dass ich am untern Ende

Das Auge nicht erheben

Und mich nicht rühren darf.

Dass hungernd ich, mit Tränen,

Das Essen stehen lassen

Und mich hinweg muss wenden

Voll Scham und voll Verdruss,

Und weinend im Verborgnen

Die Rinde harten Brotes

Mit all den harten Reden

Hinunter würgen muss.

Mag selber sie nur beten,

Dass ihre eignen Kinder

Nicht einmal dienen müssen,

Wenn ihr das Glück entschwand

Und sie als arme Mutter

Wird um die Häuser schleichen,

Wo jene sind geschlagen

Von böser Herrenhand!