Friedrich Gottlob Wetzel

Der Spielmann (Friedrich Gottlob Wetzel)

               

Es steht ein Spielmann vor der Tür:

Ruft ihn herein zum Feste!

Er tritt wohl in den Saal herfür,

Und grüßt die muntern Gäste:

Kennt ihr das Lied vom Rotbart nicht?

Spricht er mit ernstem Angesicht,

Das Lied will ich euch singen.

Der Kaiser kam an einen Fluß

Im heilgen Krieg gezogen,

Sein Heer wagt nicht hinein den Fuß,

Er stürzt sich in die Wogen,

Da sank er in der Rüstung schwer,

Es führt ein Schiff den Leichnam her

Zum Land der Väter über.

Und wie der Sarg, darin er ruht,

Berührt den teuren Boden,

Da regt sich drinnen neue Glut

Und frischer Lebensodem,

Der Träger Schar erschrocken flieht,

Und als man nach dem Sarge sieht,

Der Leichnam ist verschwunden.

Auf einem Berg, wie Sage geht,

In Thürings güldner Auen,

Da ist des Kaisers Majestät

In einer Kluft zu schauen.

Sein Bart durchwuchs den steinern Tisch,

Sein Angesicht ist rot und frisch,

Das Aug im Traum geschlossen.

Und nun vernehmt ein teures Wort,

Bewahrt's in Herzens Grunde,

Ein grauer Spielmann hört' es dort

Aus Kaisers eignem Munde:

Wenn siebenhundert Jahr vorbei,

Dann lassen mich die Geister frei,

Mein Volk aufs neu zu grüßen.

Als Spielmann zieh ich dann umher,

Mich soll kein Aug entdecken,

Ich singe manche gute Mär,

Den alten Geist zu wecken,

Durch Liedes Kraft und Gottes Hand

Erbau ich neu das Vaterland,

Eine Burg auf ewge Zeiten.

Der Spielmann hebt den Römer auf,

Und reicht ihn allen Gästen:

Nehmt hin, das ist mein Geist! wohlauf,

Und denket mein im Besten!

Und alle sehn, indem er spricht,

Verwandelt leuchten sein Gesicht,

Und flugs war er von hinnen.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.