Friedrich Schiller

An die Freunde (Friedrich Schiller)

       

Lieben Freunde, es gab schönre Zeiten,

Als die unsern, das ist nicht zu streiten!

Und ein edler Volk hat einst gelebt.

Könnte die Geschichte davon schweigen,

Tausend Steine würden redend zeugen,

Die man aus dem Schooß der Erde gräbt.

    Doch es ist dahin, es ist verschwunden,

    Dieses hochbegünstigte Geschlecht.

    Wir, wir leben! Unser sind die Stunden,

    Und der Lebende hat Recht.

Freunde, es gibt glücklichere Zonen,

Als das Land, worin wir leidlich wohnen,

Wie der weitgereiste Wandrer spricht.

Aber hat Natur uns viel entzogen,

War die Kunst uns freundlich doch gewogen,

Unser Herz erwarmt an ihrem Licht.

    Will der Lorbeer hier sich nicht gewöhnen,

    Wird die Myrte unsers Winters Raub,

    Grünet doch, die Schläfe zu bekrönen,

    Uns der Rebe muntres Laub.

Wohl von größern Leben mag es rauschen,

Wo vier Welten ihre Schätze tauschen,

An der Themse, auf dem Markt der Welt.

Tausend Schiffe landen an und gehen,

Da ist jedes Köstliche zu sehen,

Und es herrscht der Erde Gott, das Geld.

    Aber nicht im trüben Schlamm der Bäche,

    Der von wilden Regengüssen schwillt,

    Auf des stillen Baches ebner Fläche

    Spiegelt sich das Sonnenbild.

Größres mag sich anderswo begeben,

Als bei uns in unserm kleinen Leben;

Neues - hat die Sonne nie gesehn.

Sehn wir doch das Große aller Zeiten

Auf den Brettern, die die Welt bedeuten,

Sinnvoll still an uns vorübergehn.

    Alles wiederholt sich nur im Leben,

    Ewig jung ist nur die Phantasie;

    Was sich nie und nirgends hat begeben,

    Das allein veraltet nie!

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Schillers Sämmtliche Werke, Erster Band"
Herausgeber: J. G. Cotta'sche Buchhandlung