Frank Wedekind

Ein politisch Lied I (Frank Wedekind)

Nachstehende Verse wurden uns von einem Anonymus aus Berlin

ohne Adresse eingesandt. Da sie für den Papierkorb zu gut und wir auf die vom Einsender

angekündigte regelmäßige Fortsetzung gespannt sind, geben wir dem Poem im

»Simplizissimus« einen Raum, obgleich es eigentlich nicht

hineingehört.      D. R.

               

           

Ich, der alte Hieronymus Jobsius,

Weiland Theologiae candidatus,

Bekannt dem zu verehrenden Publikum

Durch meine Lebensbeschreibung von Kortum.

Ich, der ich in verwichenen Phasen

Deutscher Entwicklung das Kuhhorn geblasen,

Finde, daß es jetzt das richtige ist,

Ich werde politischer Journalist.

Nicht, daß ich dem gegenwärtigen Kurs der Dinge

Keine Hochachtung entgegenbringe;

Ich bin nur der Überzeugung, ein Kuh-

Horn gehört notwendig dazu.

Was ist der Bürger, der zahlt die Steuern,

Um sich selbst noch das Brot zu verteuern,

Anderes als eine melkende Kuh? -

Höchstens noch ein Esel dazu.

Es haben nämlich agrarische Übergriffe

Und besonders die Panzerschiffe

Schon seit Jahren mein Herz empört.

Warum hat man nicht darauf gehört!

Aber unmöglich kann ich diese

Hereinbrechende Ministerkrise

Hereinbrechen lassen, ohne meinem Zorn

Luft zu machen durch mein Horn.

Treibt denn nicht die Politik ihre schönsten Blüten

Nur um alles Erdenkliche zu verhüten?

Aber fragt man, was sie will,

Dann wird sie auf einmal mäuschenstill.

Die Agrarier, das will ich ja gerne zugeben,

Sind von Gott auch geschaffen, damit sie leben,

Aber warum schöpfen sie nicht lange schon

Trost und Stärkung aus der Religion?

Alsdann sagten sie sich wohl in Bälde:

Sehet die Lilien auf dem Felde;

Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie spannen niemand ins Joch

Und unser Vater im Himmel nährt sie doch!

Darum, wenn ich hätte die Ehre

Und der Kultusminister von Bosse wäre,

Müßte eine hohe Geistlichkeit

Solches verkünden weit und breit.

Aber was tut der Herr Minister indessen?

Jeder Schulmeister klagt über sein schlechtes Essen,

Wenn er im Jahr einmal etwas zu essen hat,

Denn gewöhnlich wird er nicht satt.

Muß er dann seinen Buben verkünden:

Du sollst dem Ochsen, der da drischet, das Maul nicht verbinden,

Dann blickt er aufwärts und sagt mit stolzem Sinn:

Ich danke dir, O Herr, daß ich kein Ochse bin;

Daß es für mein Vaterland ist eine Ersparung,

Wenn ich mich nähre von geistiger Nahrung,

Weil die leibliche aufgegessen wird

Von dem notleidenden Landwirt.

Wenn ich von einem armen Schulmeister höre,

Regt sich nämlich meine Standesehre,

Maßen ich vor manchem lieben Jahr

Auch einmal ein armer Schulmeister war.

Aber bei dem heutigen Treiben auf Erden

Hoffe ich Kultusminister zu werden;

Darum schimpfe ich auch auf ihn.

Man muß aus allem seinen Vorteil ziehn.

Da nehme man als Exempel den Herrn von Miquel!

Wer hätte dem sozialdemokratischen Karnickel

Vor dreißig Jahren prophezeit,

Er brächte es als Reineke Fuchs so weit.

Ich aber hingegen an seiner Stelle

Wüßte eine reichlich sprudelnde Quelle,

Aus der man noch manches Panzerschiff

Schöpfen könnte mit einem Griff.

Zollfrei sind immer noch unsere lieben Gedanken,

Die so üppig unter dem Himmel ranken

Besonders in unserem deutschen Land.

Miquel, wo hast du deinen Verstand!

Statt durch die Polizei zu überwachen,

Was wir uns für Gedanken machen,

Lasse doch gegen bares Geld

Jeden denken, was ihm gefällt.

Laß keine Bücher mehr konfiszieren;

Dabei kann man sein Geld nur verlieren.

Liebevoll mag es ja freilich sein,

Aber es bringt dem Staate nichts ein.

Bitte, stell dir vor, welche Unsummen

Nur allein durch Nietzsche zusammenkommen,

Wenn von jedem Deutschen, der nietzscht,

Etwas in die Staatskasse glitscht.

Auch soll man keine Versammlungen mehr auflösen,

Denn es verursacht nur böse Polizei-Spösen.

Schreie doch alles aus vollem Bauch!

Schrieest du, Miquel, nicht einst auch?

Und nun komme ich zur Vereinsnovelle;

Großer Gott, welche unerschöpfliche Geldquelle!

Ist es nicht wirklich eine Schmach,

Daß das halbe Vaterland noch liegt brach!

Deshalb, Miquel, eine letzte Bitte,

Bezugnehmend zu deinem demnächstigen Hintritte,

Wenn du als der Nachfolger von Fürst

Hohenlohe Reichskanzler würst.

Dann bitte ich, die Verwaltung der Reichskassen

Und das Finanzwesen überhaupt mir zu überlassen.

Du siehst aus meinen Plänen, daß es mir nicht

An der nötigen Inspiration gebricht.

Ich werde alles gewissenhaft verwalten,

Nur das Überflüssigste für mich behalten.

Denn hierin denk' ich wie ein Droschkenpferd:

Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert.

Die Gedanken werde ich sofort verzollen,

Dann mögen die Deutschen denken, was sie wollen.

Sozialist, Anarchist und auch Konservativ,

Alles hat seinen bestimmten Tarif.

Schmoller, Delbrück und Genossen

Wird ferner nicht mehr der Mund verschlossen;

Ja, selbst die hohe Beleidigung ist frei,

Vorausgesetzt, daß sie richtig versteuert sei.

Denn wie mancher Ehrsame fühlte sich gedrungen

Zu solcher Art von Beleidigungen,

Indem er die Beleidigung in einer Anwandlung

Von sprachloser Verwundrung begung.

So, Miquel, nun kennst du meine Pläne.

Indem ich mich sehr nach deinem Portefeuille sehne,

Verbleib' ich indessen mit herzlichem Gruß

Dein getreuer Vetter

Hieronymus.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008578-0
Erschienen im Buch "Gedichte und Lieder"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.