Frank Wedekind

Aus den Böhmischen Wäldern II (Frank Wedekind)

               

Geehrter Herr Schriftleiter!

                       

          Ich ergreife die Feder

Und schreibe Ihnen unter dem Heut'gen entweder

Wieder ein neues politisches Gedicht,

Oder ich schreibe dasselbe nicht.

Es bleibt mir nämlich mit dem besten Willen

Keine dritte Möglichkeit zu erfüllen;

Daher das eine oder das andere zu tun

Kann ich leider nicht umhuhn.

Während man in Berlin Delbrücken in den Karzer

Schickt, erteilt man in Wien den Grillparzer-

Preis zum zweitenmal dem Dichter Hauptmann.

Was ist denn Überraschendes daran?

In Berlin wird auf den Dichter Hauptmann verzichtet,

Denn man hat einen wirklichen Hauptmann, der dichtet;

Während der mit dem Vornamen Gerhart

Zum Militärdienst nicht zugelassen ward.

Das zeigt sich in seiner poetischen Gestaltung:

Seinen Helden fehlt jede schneidige Haltung;

Weder Kollega Crampton noch der junge Vockerat

Legen die Hand an die Hosennaht.

Was soll aber bei so respektwidrigen Gebärden

Aus unserer deutschen Dichtung werden?

Dasselbe was vor hundert Jahren ward;

Damals sang zum Beispiel ein gewisser Schubart:

»Es ist die Hand herabgefault zum Knochen,

    Die einst mit starrem Federzug

Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen,

    In eherne Fesseln schlug!«

Gott möge nun unsere fürstlichen Hände

Gnädigst behüten vor einem ähnlichen Ende.

Was aber ein richtiger Weiser ist, der schnauft

Im Kerker besser, als wenn er frei herumlauft. -

Ich hatte die Ehre, geehrter Herr Schriftleiter,

Ihnen als Ihr politischer Mitarbeiter

Mitzuteilen in meinem letzten Brief,

Daß ich eine Räuberbande ins Leben rief.

Ich habe mich nun mit meinen Genossen beraten

Zur Gründung einer Hochschule für Diplomaten,

In welcher sich fachmännischer Unterricht

Mit praktischen Übungen verflicht.

Es rechnet dabei unsere geschätzte Bande

Auf einen starken Zuspruch aus dem Auslande,

Wogegen für Zöglinge deutscher Nationalität

Enorme Preisermäßigung besteht.

Der Unterricht in Militär- und Marinevorlagen

Wird von einem ehemaligen Bankdirektor vorgetragen,

Bei dem die Phantasie dermaßen überwog,

Daß er sich aus dem Geschäftsleben zurückzog.

Nicht besser erging es unserem Dozenten

Für Verfassungsbrüche und Kronprätendenten;

Er war in der Friedrichstraße in Berlin

So gut wie verlobt, aber seine Braut betrog ihn.

Hingegen wird das Kolleg über Gesandtschaftswesen

Von einem pensionierten Lockspitzel gelesen;

Der Mann ist allerdings noch jung,

Hat aber große Welterfahrung.

Einen phänomenalen Säufer und Fresser

Mästen wir für Agrikultur als Professor,

Weil dieser Gelehrte vorzüglich düngt,

Wie denn auch seine Rede schon stinkt.

Über Zollpolitik und soziale Fragen

Wagen wir allesamt etwas vorzutragen,

Weil hierin der Räuber von Beruf

Wahre Musterinstitutionen schuf.

Ganz ohne Zweifel ist aber die Perle

In dieser Gesellschaft kreuzbraver Kerle

Unser Professor für geistige Angelegenheit,

Geradezu ein Unikum von Borniertheit,

Trefflich bewandert in höfischen Sitten

Und in Disziplinarverfahren beritten;

Wie ein Rhinozeros reitet er prompt

Nieder, was ihm geistig in den Weg kommt.

Ich habe Ihnen, geehrter Herr Schriftleiter,

Unter dem heutigen Datum weiter

Nichts mitzuteilen und verbleibe dann

Ihr ergebener

Hieronymo Jobsio, Räuberhauptmann.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008578-0
Erschienen im Buch "Gedichte und Lieder"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.