Ferdinand Freiligrath

Der Scheik am Sinai (Ferdinand Freiligrath)

(Aus "Gedichte", 1838)

         

»Tragt mich vors Zelt hinaus samt meiner Ottomane!

Ich will ihn selber sehn! - Heut kam die Karawane

Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht?

Tragt mich vors Zelt hinaus! Wie an den Wasserbächen

Sich die Gazelle letzt, will ich an seinem Sprechen

Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht.«

Der Scheik saß vor dem Zelt, und also sprach der Mohre:

»Auf Algiers Türmen weht, o Greis! die Trikolore;

Auf seinen Zinnen rauscht die Seide von Lyon;

Durch seine Gassen dröhnt frühmorgens die Reveille,

Das Roß geht nach dem Takt des Liedes von Marseille: -

Die Franken kamen von Toulon!

Gen Süden rückt das Heer in blitzender Kolonne;

Auf ihre Waffen flammt der Barbaresken Sonne,

Tuneser Sand umweht der Pferde Mähnenhaar.

Mit ihren Weibern fliehn die knirschenden Kabylen;

Der Atlas nimmt sie auf, und mit dem Fuß voll Schwielen

Klimmt durchs Gebirg der Dromedar.

Die Mauren stellen sich; vom Streit gleich einer Esse

Glüht schwül das Defilee; Dampf wirbelt durch die Pässe;

Der Leu verläßt den Rest des halbzerrißnen Rehs.

Er muß sich für die Nacht ein ander Wild erjagen -

Allah! - Feu! En avant! - Keck bis zum Gipfel schlagen

Sich durch die Aventuriers.

Der Berg trägt eine Kron' von blanken Bajonetten;

Zu ihren Füßen liegt das Land mit seinen Städten

Vom Atlas bis ans Meer, von Tunis bis nach Fez.

Die Reiter sitzen ab; ihr Arm ruht auf den Croupen;

Ihr Auge schweift umher; aus grünen Myrtengruppen

Schaun dünn und lang die Minaretts.

Die Mandel blüht im Tal; mit spitzen dunkeln Blättern

Trotzt auf dem kahlen Fels die Aloe den Wettern,

Gesegnet ist das Land des Beys von Tittery.

Dort glänzt das Meer; dorthin liegt Frankreich. Mit den bunten

Kriegsfahnen buhlt der Wind. Am Zündloch glühn die Lunten;

Die Salve kracht - so grüßen sie!«

»Sie sind es!« ruft der Scheik - »Ich focht an ihrer Seite!

O Pyramidenschlacht! o Tag des Ruhms, der Beute!

Rot, wie dein Turban, war im Nile jede Furt.

Allein ihr Sultan? sprich!« er faßt des Mohren Rechte;

»Sein Wuchs, sein Gang, sein Aug'? Sahst du ihn im Gefechte?

Sein Kleid?« - Der Mohr greift in den Gurt.

Der Emir nimmt das Gold und blickt auf das Gepräge,

Ob dies der Sultan sei, dem er die Wüstenwege

Vor langen Jahren wies; allein er seufzt und spricht:

»Das ist sein Auge nicht, das ist nicht seine Stirne! -

Den Mann hier kenn ich nicht! Sein Haupt gleicht einer Birne!

Der, den ich meine, ist es nicht!«

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 004911 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.