Eduard Mörike

Die Elemente (Eduard Mörike)

Am schwarzen Berg da steht der Riese,

Steht hoch der Mond darueber her;

Die weissen Nebel auf der Wiese

Sind Wassergeister aus dem Meer:

Ihrem Gebieter nachgezogen

Vergiften sie die reine Nacht,

Aus deren hoch geschwungnem Bogen

Das volle Heer der Sterne lacht.

Still schaut der Herr auf seine Geister,

Die Faust am Herzen fest geballt;

Er heisst der Elemente Meister,

Heisst Herr der toedlichen Gewalt;

Ein Gott hat sie ihm uebergeben,

Ach, ihm die schmerzenreichste Lust!

Und namenlose Seufzer heben

Die ehrne, goettergleiche Brust.

Die Keule schwingt er jetzt, die alte,

Vom Schlage droehnt der Erde Rund,

Dann springt durch die gewaltge Spalte

Der Riesenkoerper in den Grund.

Die fest verschlossnen Feuer tauchen

Hoch aus uraltem Schlund herauf,

Da fangen Waelder an zu rauchen,

Und prasseln wild im Sturme auf.

Er aber darf nicht still sich fuehlen,

Beschaulich im verborgnen Schacht,

Wo Gold und Edelsteine kuehlen,

Und hellen Augs der Elfe wacht:

Bruenstig verfolgt er, rastlos wuetend,

Der Gottheit grauenvolle Spur,

Des Busens Angst nicht ueberbietend

Mit allen Schrecken der Natur.

Soll er den Flug von hundert Wettern

Laut donnernd durcheinander ziehn,

Des Menschen Huette niederschmettern,

Aufs Meerschiff sein Verderben spruehn,

Da will das edle Herz zerreissen,

Da sieht er schrecklich sich allein;

Und doch kann er nicht wuerdig heissen,

Mit Goettern ganz ein Gott zu sein.

Noch aber blieb ihm eine Freude,

Nachdem er Land und Meer bewegt,

Wenn er bei Nacht auf oeder Heide

Die Sehnsucht seiner Seele pflegt.

Da haengen ungeheure Ketten

Aus finstrem Wolkenraum herab,

Dran er, als muessten sie ihn retten,

Sich schwingt zum Himmel auf und ab.

Dort weilen rosige Gestalten

In heitern Hoehen, himmlisch klar,

Und fest am goldnen Ringe halten

Sie schwesterlich das Kettenpaar;

Sie liegen aengstlich auf den Knieen

Und sehen sanft zum wilden Spiel,

Und wie sie im Gebete gluehen,

Loest, wie ein Traum, sich sein Gefuehl.

Denn ihr Gesang toent mild und leise,

Er ruehrt beruhigend sein Ohr:

O folge harmlos deiner Weise,

Dazu Allvater dich erkor!

Dem Wort von Anfang muss du trauen,

In ihm lass deinen Willen ruhn!

Das Tiefste wirst du endlich schauen,

Begreifen lernen all dein Tun.

Und wirst nicht laenger menschlich hadern,

Wirst schaun der Dinge heilge Zahl,

Wie in der Erde warmen Adern,

Wie in dem Fruehlingssonnenstrahl,

Wie in des Sturmes dunkeln Falten

Des Vaters goettlich Wesen schwebt,

Den Faden freundlicher Gewalten,

Das Band geheimer Eintracht webt.

Und auch die Elemente moegen,

Die gottversoehnten, jede Kraft

In Frieden auf und nieder regen

Die nimmermehr Entsetzen schafft;

Dann, wie aus Nacht und Duft gewoben,

Vergeht dein Leben unter dir,

Mit lichtem Blick steigst du nach oben,

Denn in der Klarheit wandeln wir.