Detlev von Liliencron

Italienische Nacht (Detlev von Liliencron)

I

               

Weit fort, im südlichen Italien war es. -

Du schautest vom Altane in den Garten

Auf weiterhellte, festbelebte Wege.

Dann hob dein Auge sich, und deine Seele

Verlor sich in das Schweigen ferner Landschaft:

    Im Meer des Mondenlichtes liegen still

    Die weißen Schlösser, Schiffen gleich, vor Anker.

    Es dunkeln, Inseln, die Zypressenhaine,

    Wo Liebesworte und Gitarrenklang

    Im gleichen Fall der Brunnen sich vermischen.

Wie lange willst du träumen, deutsche Frau,

Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo?

Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder

Aus unbarmherzig strenger Winternacht,

Die mit gesenktem Augenlid umdämmert

Die Hünengräber deines rauhen Strandes?

II

Im Nebelnorden, an der Ostseeküste,

Abseits der Städte und der großen Straßen,

Schläft einsam und vergessen, halb verweht

Im Schnee, von harten Stürmen oft gezaust,

Ein kleines Gut. Zwei ungeschlachte Riesen,

Uralte Tannen, strecken ihre Arme

Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauses.

Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich,

Geht eine junge Dame auf und nieder.

Bisweilen bleibt sie stehn, schraubt an der Lampe,

Schiebt auf dem Bechstein an das Notenpult

Die schweren Bronzekandelaber näher,

Zupft im Vorübergehen an der Decke

Des Sofatisches, horcht, und wandert, horcht,

Die grauen Augen auf die Tür gerichtet.

Bis endlich ihre schwere Stirn ein Schwarm

Von Sommervögeln lustig überflattert.

Nun schreitet langsam auf dem warmen Teppich

Ein Pärchen, angeschmiedet, auf und nieder.

Behaglichkeit, das Kätzchen, schnurrt im Zimmer,

Indessen draußen in der Winternacht,

Ein Abglanz von den Schilden Schlachterschlagner,

Die fleißig in Walhall den Humpen schwingen,

Die blassen Strahlenbündel eines Nordlichts

Am strengen Himmel Odins sich ergießen.

Und auf der toten Heide bellt der Fuchs.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.