Detlev von Liliencron

Durch die Nacht (Detlev von Liliencron)

                 

Zuweilen mach ich durch meine einsame Gegend

Einen Nachtspaziergang.

Am Tag begegn' ich zwar auch selten einem Menschen

In meinen Heiden und Reddern,

Zwischen meinen geheimnisvollen Sumpflöchern

Und düstern Mooren.

Und das ist wundervoll.

Aber nachts - ganz ohne Menschen:

Jeder stimmt mir bei: Das ist noch wundervoller.

Herbstsommer. Sternenhelle. Kühle Luft. Windstille.

Schon geh ich eine halbe Stunde

Durch die Dunkelheit.

Plötzlich springt einer

Aus dem Knick auf mich zu

Und fragt mich im Baß:

»Bist du's, Lubumurski?«

Nein, ich heiße Lubumirski,

Antwort ich.

Der Kerl verschwindet brummend.

Aber ich fasse doch meinen Knüppel fester.

Und sehe, wie die Weiber das können,

Im Vorwärtsgehen nach rückwärts.

Keiner folgt mir.

Unendlich schöne Nacht.

Ich komme einer starken Birke,

Die ich genau kenne, vorbei.

Kaum kann ich die weiße Farbe

Ihrer Korkrinde gewahr werden.

Ich bleibe stehn und lehne mich an sie.

Und dann leg ich mein Ohr an den Stamm:

Erzähl mir aus deinem Leben,

Oder wie du lebst und stirbst,

Immer wieder von neuem lebst und stirbst.

Ich horche und horche,

Ich halte meinen Atem an.

Zwei alte wackre Krähen,

Die oben baumen bis zur Frühe,

Um dann weit wegzustreichen zur Äsung,

Stehn klatschend auf aus den Zweigen,

Höchst übelgelaunt

Über meine unnötige Störung.

I bieth holt serr uhm Verzeihuhng.

Ich wandre weiter.

Ein Wiesel huscht über den Weg,

Auf seinem Raubzug von mir erschreckt.

Mille Pardon, mon cher brigand.

Ich bleibe wieder stehn.

Ich versuche, irgendeinen Ton zu hören.

Lautlos.

Aber da ist es mir,

Als hört' ich aus ganz ungeheurer Ferne

Das Stampfen von hunderttausend Pufferkolben.

Ganz, ganz leise tönt es her.

Das gleichmäßige Zerstampftwerden der Menschheit.

Das Gemurmel der Welt.

Wie ich mich wieder in Bewegung setze,

Wandern rechts und links von mir

Zwei - »Astralleiber«.

Es sind die teutschen Lyriker

Tutlitut und Pieplipiep.

Ich gebe ihnen sofort

Einen tüchtigen Tritt.

Sie lösen sich, Gott sei Dank, auf.

Ich bin wieder allein.

O unvergleichlich schöne Nacht.

Mit deinen schwarzen Tüchern

Bedeckst du das Leben:

Den Haß und die Liebe.

Lauern im Kreuzweg dort

Die Erinnyen auf mich?

Hör ich ihr Flüstern?

Riech ich schon den Qualm ihrer Fackeln

Und seh den Schein der Flammen im obern Laub?

Schielen sie schon um die Ecke?

Um, hochgeschürzt wie zum Wettlauf,

In der Rechten die neunschwänzige Katze,

Mit gräßlichem Geschrei hinter mir herzujagen?

Die Erinnyen sind die Dreieinigkeit

Des bösen Gewissens.

Säumig sinkt die Nacht weg, die Sterne sterben,

Und die Morgenröte

Schickt ihre ersten Vedetten vor.

Ich biege aus meinen Nebenwegen ein

Auf die Chaussee

(»Kunststraße« kann ich leider immer noch nicht sagen).

Alles liegt im Schlafe.

Tutlitut und Pieplipiep

Könnten noch nicht die »süßen Immelein« besingen.

Märchenhaft ragt

Über weite Stoppelfelder weg

Ein langer Fabrikschornstein,

Scharf abgehoben

Gegen einen ockergelben Himmelsstreifen.

Ein Rauch zieht daraus nach Süden,

In durchaus waagerechter Linie,

Sehr langsam, ohne jede Formverschiebung:

In der grenzenlosen Morgenstille,

In der toten Landschaft,

Wo noch kein Tier, kein Wagen zu entdecken ist,

Das einzige lebende »Wesen«:

Der träge in einer Richtung ziehende,

Sich nicht verändernde,

Geräuschlose Rauch.

Phantastisch!

Ich schreite weiter.

Und komme bei Sassens Uhlenkrug vorbei.

Da steht in dem einsamen Ausspann

Die schlanke Emma mit der Gräfinnennase.

Alles schnarcht noch im Hause.

Nur das schöne Mädchen ist schon auf

Und will die Fenster putzen.

Sie lacht, wenn sie mich erkennt.

Tür auf!

Zuerst mal einen Cognac Eau de vie vieille. Martell.

Jetzt einen Groschen gesteckt

Ins entsetzliche »selbstspielende« Klavier.

Schnellwalzer:

        Stiefelputzer war mein Vater

        Am Berliner Stadttheater.

        Meine Mutter wusch Manschetten

        Für Offiziere und Kadetten.

Droschkenkutscher war mein Bruder,

Hat gefahren manches Luder.

Meine Schwester, diese Hure,

Hing sich auf mit einer Schnure.

Nach dieser Melodie

Peddn wi een af.

Nichts, nichts geht übers Walzertanzen.

Noch einen Groschen rin

In die fürchterliche Maschine:

Langsamerer Walzer »mit Gefühl«.

        Mädchen, die in Seide rauschen,

        Kosten abends oft viel Geld,

        Wenn es bei dem Sekt geht saufen,

        Dieses ihnen sehr gefällt.

Und auch nach dieser schönen Weise

»Peddn wie een af.«

In der linken Hand hält sie das Wischtuch.

Ich habe meinen Hut ins Genick geschoben.

Himmlisch, himmlisch,

Sich so mit dem fröhlichen Mädel

Im Kreise zu drehn.

Abschied muß sein.

Addio!

Halt, noch'n Cognac Eau de vie vieille. Martell.

(Herr Professor Doktor Alfred Biese sieht's nicht.)

Und nun, alles hat ein Ende,

Noch einen letzten Groschen

In den Teufelsrachen:

        O du mein Max, mein Max, mein Max,

        Köpfchen wie Wachs, wie Wachs, wie Wachs,

        Wangen so rot, so rot wie Blut,

        Mutter, dem Max bin ich so gut.

Nun aber wird's die höchste Zeit:

Nach Hause, nach Hause!

Die Nacht gehört der Liebe

(Diese Nacht gehörte dem Alleinsein),

Der Tag dem Schwert.

Mein Schwert heißt heute

Die Arbeit.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.