Detlev von Liliencron

Betrunken (Detlev von Liliencron)

   

Ich sitze zwischen Mine und Stine,

Den hellblonden hübschen Friesenmädchen,

Und trinke Grog.

Die Mutter ging schlafen.

Geht Mine hinaus,

Um heißes Wasser zu holen,

Küß ich Stine.

Geht Stine hinaus,

Um ein Brötchen mit aufgelegten kalten Eiern

Und Anchovis zu bringen,

Küß ich Mine.

Nun sitzen wieder beide neben mir.

Meinen rechten Arm halt ich um Stine,

Meinen linken um Mine.

Wir sind lustig und lachen.

Stine häkelt,

Mine blättert

In einem verjährten Modejournal.

Und ich erzähl ihnen Geschichten.

Draußen tobt, höchst ungezogen,

Unser guter Freund,

Der Nordwest.

Die Wellen spritzen,

Es ist Hochflut,

Zuweilen über den nahen Deich

Und sprengen Tropfen

An unsre Fenster.

Ich bin verbannt und ein Gefangener

Auf dieser vermaledeiten,

Einsamen kleinen Insel.

Zwei Panzerfregatten

Und sechs Kreuzer spinnen mich ein.

Auf den Wällen

Wachen die Posten,

Und einer ruft dem andern zu,

Durch die hohle Hand,

Von Viertel- zu Viertelstunde,

In singendem Tone:

Kamerad, lebst du noch?

Wie wohl mir wird.

Alles Leid sinkt, sinkt.

Mine und Stine lehnen sich

An meine Schultern.

Ich ziehe sie dichter und dichter

An mich heran.

Denn im Lande der Hyperboreer,

Wo wir wohnen,

Ist es kalt.

Ich trank das sechste Glas.

Ich stehe draußen

An der Mauer des Hauses,

Barhaupt,

Und schaue in die Sterne:

Der winzige, matt blinkende,

Grad über mir,

Ist der Stern der Gemütlichkeit,

Zugleich der Stern

Der äußersten geistigen Genügsamkeit.

Der nah daneben blitzt,

Der große, feuerfunkelnde,

Ist der Stern des Zorns.

Welten-Rätsel.

Die Welt - das Rätsel der Rätsel.

Wie mir der Wind die heiße Stirn kühlt.

Angenehm, höchst angenehm.

Ich trinke das zehnte Glas.

Tanzt, Kinder, tanzt,

Ich bin der Sultan,

Ihr seid meine Georgierinnen,

Ich liebe euch,

Geht mit mir zu Bett.

Ich kann nicht tanzen mehr?

Wie sagte doch der Sultan

Im Macbeth?

Ich meine Shakespeare:

Trunkenheit reizt zur Liebe,

Aber die Beine,

Oder was sagte er,

Möchten gern, aber sie können nicht.

Mädchens, unterstützt mich,

Hebt mich,

Ich will eine Rede reden:

Die Welt ist das Tal der Küsse,

Die Welt ist der Berg des Kummers,

Die Welt ist das Wasser der Flüssigkeit,

Die Welt ist die Luft des Unsinns.

Was sagte ich?

Ich setze mich.

Noch ein Glas Grog. Vorwärts!

Die Langeweile,

Verzeiht, Mächens,

An eurer Seite,

Schändlich, das zu sagen,

Die Welt ist das Tal, das,

Das Tal der Langenweile.

Jetzt ist Macbeth,

Ich lieb euch, Mächens,

Ich bin der Sultan,

Gebt mir Pantherfelle.

Die Sklaven, die Sklaven her!

Zum Donner, wo bleiben die Schufte!

Auf mein Lager tragt mich.

Ich will schlafen.

So, Macbeth,

Tanzen, tan-zen.

Gu' Nacht,

Ich wer' mü-de,

Gu' Nach...

Wie-e?

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.